Sehnsucht nach dem perfekten Tag
Kona/MZ. - Sie werden seit einer Woche am Alii Drive, King-Kam-Hotel oder im Energy Lab von Kona mitunter angestiert wie seltene Tiere. Andreas und Michael Raelert sind ja auch eine Ausnahmeerscheinung in der sehr speziellen Triathlon-Szene, in der das Rostocker Brüderpaar seit jeher Aufmerksamkeit absorbiert. Dafür sind die beiden Raelerts auf den Mittel- und Langstrecken schon zu oft stilprägend unterwegs gewesen, doch noch nie gemeinsam bei einem Ironman. Nun bei der Weltmeisterschaft auf Hawaii, dem weltgrößten Ereignis dieser Randsportart, treten der 36-jährige Andreas und der vier Jahre jüngere Michael erstmals als Bündnis an, um den favorisierten Titelverteidiger Craig Alexander zu entthronen.
Jeder der 1 800 Starter bekommt nach der Strapaze über 3,8 Kilometer Schwimmen im Pazifik, 180 Kilometer Radfahren durch die Lavawüste und 42 Kilometer Laufen über den Queen-K-Highway eine traditionelle Kette aus Hibiskusblüten - die Raelerts aber sehnen sich nach der stacheligen Krone. Credo: "Wir wollen, dass unser Name auf der Siegerliste steht - egal mit welchem Vornamen." Eigentlich träumen beide davon, Hand in Hand über die Ziellinie zu laufen; für diesen Coup hatte ein Sponsor einst sogar eine Million Dollar ausgelobt. Ihr Manager Zibi Szlufczik will von diesen Ambitionen zwar noch nicht Abschied nehmen ("beide können das Ding gewinnen"), doch im Grunde geht es darum, einen ganz nach vorne zu bringen - und das wird mutmaßlich Andreas sein. Jahrelang startete der Ausnahmeathlet für den SV Halle in der Bundesliga.
Seine Freundin Julia Böttner erledigt die PR-Arbeit für ein eigentlich ungleiches Geschwisterpaar, obwohl sich beide als recht lässige und meist gut gelaunte Asketen verdingen. Doch wo Andreas Worte abwägt, platzt es aus Michael heraus; wo Andreas überlegt, stürmt Michael voran: Der eine ist kopfgesteuert, der andere bauchgetrieben. Als mentale Stütze besaß Michael entscheidenden Anteil daran, dass der große Bruder zuletzt dreimal aufs Podium kam. Für den Sieg, sagt der Vorjahresdritte, "macht der Kopf am Ende 80 Prozent aus; er wird umso wichtiger, desto länger der Tag dauert."
Kaum eine Sportart erfordert solch eiserne Disziplin und solch immensen Aufwand; maximal zwei Wettkämpfe im Jahr können die Weltbesten bestreiten. Bei den Raelerts summieren sich am Jahresende fast 1 000 Kilometer Schwimmen, 19 000 Kilometer Radfahren und 5 000 Kilometer Laufen. Andreas hat die Einheiten diesmal in weiten Teilen im Schweizer Engadin erledigt; die Höhenketten sind eine Art Selbstversuch. Immer getrieben von der Sehnsucht, mit dem Start am Samstag um 6.30 Uhr Ortszeit "den perfekten Tag" zu erwischen.
Ob es nach Thomas Hellriegel (1997), Norman Stadler (2004 und 2006) und Faris Al-Sultan (2005) wieder einen deutschen Sieger gibt, wird entscheidend auch davon abhängen, in welcher Form sich neben dem vor Selbstvertrauen strotzenden australischen Weltmeister Alexander der von Stadler betreute Belgier Marino Vanhoenacker, der Vorjahreszweite Pete Jacobs aus Australien und vor allem dessen kapriziöser Landsmann Chris McCormack präsentieren. Der Freiburger Andreas Böcherer, 29, im Vorjahr respektabler Achter und einer von insgesamt sechs seriösen Top-Ten-Kandidaten aus Deutschland, glaubt zu wissen, in welchem Zeichen der unbarmherzige Showdown steht: "Australien gegen Deutschland: Aber weil die Australier schlitzohriger sind, werden sie wieder gewinnen." Demnach müssten die Raelerts noch ein bisschen weiterträumen.
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