Schutz- und Gnadenhof in Cobbel Schutz- und Gnadenhof in Cobbel: 61-Jährige rettet Pferde vor dem Tod

Cobbel - Ihr Anblick reicht, um drei ihrer nicht mehr ganz so kleinen „Babys“ auf der Koppel in Bewegung zu setzen: Merlin, Doby und Michel traben ungestüm auf Angela Jackowski zu. Die Noriker - Gebirgskaltblutpferde aus Österreich - sind gut drei Jahre alt. Und offensichtlich nicht nur fast unverschämt neugierig, sondern auch gelehrig: „Komm, lach mal!“ sagt Jackowski. Merlin hält prompt den Kopf schräg und fängt an zu flehmen. Tatsächlich sieht das so aus, als würde er einen angrinsen.
Dabei hätte er nicht viel zu grinsen gehabt, gäbe es die 61-Jährige nicht. Vor drei Jahren, erzählt sie, habe sie die drei erst wenige Monate alten Noriker mit Hilfe örtlicher Tierschützer auf einem österreichischen Fohlenmarkt vor dem Schlachter bewahrt. Seitdem leben sie auf dem Schutz- und Gnadenhof in Cobbel (Kreis Stendal), der von der „Interessengemeinschaft Freizeit mit Pferden und Pferdeschutz“ betrieben wird. Initiatorin und Vereinsvorsitzende ist Jackowski.
Traum spornt an
In ihrer Familie haben Pferde schon seit vielen Generationen eine Rolle gespielt. „Als Kind konnte ich rot und blau noch nicht unterscheiden, aber ob ich einen Schimmel oder einen Fuchs vor mir hatte, wusste ich“, erzählt die agile Frau mit den blonden Haaren. Dazu kam in den 1960ern die amerikanische TV-Serie „Fury“ über einen wilden Mustang und seinen Freund, einen neunjährigen Jungen. „Das war mein Traum: So müsste man leben können“, erinnert sich Jackowski.
Von der Realität zum Traum
Was man als Mädchen eben so träumt. Die Realität ging andere Wege. Zwar war sie viele Jahre im Reitverein, beruflich spielten die Tiere für die Tochter einer Bäckerfamilie aus Tangerhütte aber keine Rolle: Weil ihr die Möglichkeit, von der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) zu einem Tierarztstudium delegiert zu werden, zu unsicher erschien, wurde Jackowski Bankkauffrau. Sie arbeitete in der Sparkasse, nach der Geburt der Kinder als Finanzbuchhalterin in verschiedenen Betrieben oder zuletzt als Gurkenproduzentin auf dem Acker der Großeltern. Erst Jahre nach der Wende - inzwischen war sie mit ihrem Mann von Tangerhütte aufs Land nach Cobbel gezogen - erfüllte sie sich ihren Traum: ein Leben mit Pferden. Anfangs noch mit einem gewerblichen Pferdehof, inzwischen als Schutz- und Gnadenhof des gemeinnützigen Vereins.
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Gnadenhof. Ein Wort, das nach Mildtätigkeit klingt. Angela Jackowski sitzt nun auf der Couch in ihrem Haus, krault die Katze neben sich und erhebt die Stimme. Das Wort Gnadenhof mag sie eigentlich nicht. „Das ist nicht Gnade, sondern Verantwortung!“, sagt sie. Ein Tier im Alter nicht abzuschieben, nachdem es seine Leistung als Sportpferd gebracht hat. Es nicht zum Schlachter zu bringen, weil man mit ihm nicht klar kommt. Oder weil es nicht mehr gebraucht wird wie die österreichischen Noriker-Fohlen, nachdem sie einen Sommer auf den Wiesen Touristen entzückt haben.
Verängstigte Tiere
Sie habe sich von Anfang an auf den Pferdeschutz konzentriert, sagt Jackowski, auch auf verhaltensgestörte oder gehandicapte Tiere. Die 61-Jährige erzählt von halb verhungerten, traumatisierten Pferden, die über Behörden oder andere Tierschützer an sie vermittelt wurden - von Tieren, die zum Teil Angst vor dem eigenen Schatten hatten, nur gebuckelt haben. Und sie schwärmt, was für „Top-Pferde“ daraus wurden.
Heute leben 14 Pferde auf dem Hof, der an Jackowskis Wohnhaus grenzt. Vier Hektar Fläche gehören dazu, Futterstände, ein Offenstall, ein kleiner Teich, ein Parcours für die Beschäftigung und eine 26 mal 30 Meter große Halle. Zehn Jahre lang haben hier in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Pfarrer auch Tiergottesdienste stattgefunden. 2005 wurde der Hof Zweitplatzierter beim Landes-Tierschutzpreis. „Beispielgebend für Andere“, schrieb das Umweltministerium damals, würden geschundene, alte oder kranke sowie vom Leistungsdruck überforderte Pferde aufgenommen, um ihnen „ein artgerechtes Weiterleben im Vertrauen zum Menschen zu ermöglichen.“
Auf Spenden angewiesen
Für Jackowski fängt der Tag kurz nach 6 Uhr an. Noch vor dem Frühstück wird gefüttert, dann geht es ans Reinigen von Gelände und Offenstall. Nachmittags stehen unter anderem Reitstunden an. Der Hof finanziere sich über Spenden, Bußgelder von Straftätern, die über Gerichte an gemeinnützige Vereine verteilt werden, und Einnahmen aus dem Reitunterricht. „Das klappt mal besser, mal schlechter, man muss sich etwas einfallen lassen“, sagt Jackowski. Im Jahr brauche der Verein allein für Futter oder medizinische Behandlung der Pferde - trotz einiger „Freundschaftspreise“ - rund 25000 Euro. Reparaturen auf dem Hof sind da nicht inbegriffen. Für einen Großteil seien Spenden nötig, aber Sponsoren in einer Gegend mit so hoher Arbeitslosigkeit zu finden, sei nicht einfach, sagt die Vereinschefin. Sie selbst lebe mit ihrem Mann von seiner kleinen Rente.
Eine Fahrt nach Polen
„Ich weiß, dass ich nicht alle Pferde dieser Welt retten kann“, sagt Jackowski. Dennoch will sie sich im Frühjahr auf den Weg machen, um zumindest für ein, zwei Tiere etwas zu verändern. Auf den Weg ins polnische Skaryszew, zu einem der größten Pferdemärkte Europas. Unter Tierschützern ist er als „Hölle für Pferde“ verschrien, sie kritisieren seit Jahren katastrophale Bedingungen - vor allem beim Transport zum Markt, aber auch beim späteren Weitertransport. Viele Tiere würden zum Schlachten nach Italien gebracht, heißt es. Immer wieder versuchen Tierschützer, einige freizukaufen. 60000 Menschen haben im Netz bereits eine Petition zur Abschaffung des Marktes gezeichnet.
Nach Polen zu fahren, heiße nicht, dass sie ihr Engagement in Deutschland einschränke, sagt Jackowski. „Aber ich kann mir nicht diese Bilder ansehen und nichts tun.“ Die 61-Jährige hat Angst vor dem, was sie erleben wird. Bei der Fohlenauktion in Österreich war sie nicht selbst dabei. Sie habe nicht entscheiden können, welches Tier weiterleben darf und welches nicht, sagt sie. In Polen wird das anders sein. Aber wenn alles gut geht, wird Jackowski vielleicht bald auch vor einem dieser Pferde stehen und sagen: „Komm, lach mal!“ (mz)
Die Webseite des Vereins: www.pferdefreizeithof-cobbel.de