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Russendisko

Von Michael Blochwitz 25.02.2004, 15:00

Halle/iposa. - „Deutsche Partys sind oft langweilig“, sagt DJ Juhan. „Sitzen, quatschen, Rotwein trinken – ansonsten passiert gar nichts.“ Also begann DJ Juhan – mit bürgerlichem Namen Juri Harlamov – selber Partys zu organisieren, als er vor drei Jahren von Moskau nach Halle siedelte. In seiner Heimat hantierte er als Banker mit Rubel und Devisen, in Deutschland legt er nun als Szene-DJ russische Musik auf. Er stöbert im Internet nach geeigneten Klängen, gestaltet die Flyer und Plakate selbst – und kümmert sich auch um deren Verteilung. „Viele Russen sitzen in Deutschland nur zu Hause und trinken, ich war gleich aktiv.“

Mit dem New Chance e.V., einem Verein zur Förderung von Nachwuchsmusikern und Lugendkulturen, fand er einen erfahrenen Unterstützer, mit „Schum-Russendiscothek“ auch bald einen passenden Namen. „Schum bedeutet im deutschen Lärm und ist rückwärts gelesen ein russisches Schimpfwort“, sagt Juri Harlamov und grinst. Innerhalb kürzester Zeit avancierte seine Schum-Disco von einem Geheimtipp zur angesagten alternativen Tanzveranstaltung in Halle. Ganz gleich, ob DJ Juhan im Bauernclub, im VL in der Ludwigstraße oder im Hühnermanhattan seine Musik spielt, die Gäste verschiedener Nationen feiern immer dichtgedrängt bis in den Morgengrauen: feucht, wild, fröhlich – und friedlich. „Nur etwa 20 Prozent der Gäste sind Russen. Ich wollte nie eine Disco nur für Russen machen.“ Sein „Schum“ ist international.

„Ich spiele nur Musik, die Menschen mit ihren Händen und ihrem Herzen machen können – nichts Elektronisches.“ Pop benutzt er nur als Schimpfwort. „Ich bin kein Teenie- DJ“, sagt der 30-Jährige. Schum sei eine Party für Erwachsene – mit Geschmack. An seinem DJ-Pult klebt extra eine Liste mit jener Musik, die Juri Harlamov garantiert nicht spielt. „Die Deutschen wünschen sich immer Kalinka.“ DJ Juhan spielt aber nur russischen Punk, Ska, Rock, Funk, Klezmer und Jazz. „Anspruchsvolle und alternative Musik zum Tanzen.“ Zahlreiche gute Bands, so der Neu-Hallenser, seien in den letzten Jahren in Russland entstanden. „Früher gab es nur West-Imitate oder Protestbands – mit interessanten Texten, aber ganz fürchterlicher Musik.“

Deswegen hat er in Russland auch beinahe ausschließlich Musik aus Amerika und England gemocht, hier in Deutschland hört er – aus beruflichen Gründen – hingegen fast nur noch russische Musik. Die neuen Bands seiner alten Heimat „suchen viel mehr ihren eigenen Stil“, sagt DJ Juhan. „Sie finden ihre Inspiration nicht nur im Westen, sondern beschäftigen sich auch mit ihrer eigenen Kultur und vermischen dann westliche und heimische Einfl üsse“, so der DJ, der seine Musik auch auf „Radio-Corax“ spielt. Seine Sendung wurde 2003 zur besten Musiksendung des Jahres gewählt.

Künftig will er seine Schum-Disko auch in Leipzig und Köln veranstalten sowie vermehrt Konzerte mit Bands aus Russland organisieren. Im Februar gastierte bereits die Band Marktschneiderkunst aus St. Petersburg in Halle und bot eine rasante Ska-Party. Einen Webserver über russische Musik mit mp3-Klangbeispielen will er ebenfalls instalieren. Und eine Ausbildung zum Fachinformatiker bei der IHK absolvieren.

Ohne Zweifel: Juri Harlamov fühlt sich in Halle sehr wohl. Hier wohnt er auch mit seiner Frau zusammen: Beide lebten früher bereits in der gleichen Stadt – und zwar in Moskau –, doch die Entfernung zwischen ihren Wohnungen war so groß, dass Harlamov mindestens zwei Stunden einplanen musste, wenn er seine Frau sehen wollte. „Schön, dass Halle so übersichtlich ist“, sagt er und lacht.