1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Rudern: Rudern: Das Sprachrohr geht von Bord

Rudern Rudern: Das Sprachrohr geht von Bord

Von RÜDIGER FRITZ 02.11.2009, 20:30

HALLE/MZ. - Bernd Lindner unternahm gar nicht erst den Versuch, seinen Schützling umzustimmen. Denn es ist bekannt: Christian Schreiber lebt das Prinzip "ein Mann - ein Wort". Es wurde dennoch ein schöner Abend. Wenn zwei Personen ein Jahrzehnt durch dick und dünn gegangen sind, dann gibt es eine Menge zu erzählen. Der Weltmeistertitel von 2001, der dritte WM-Rang und der Weltcup-Gesamtsieg 2005 jeweils im Doppelzweier lebten dabei auch auf.

Ein Jahr Zeit, zwei Semester Studium, hatte sich der 29-jährige Athlet nach dem sechsten Platz bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking erbeten, um über den Fortgang seiner Karriere nachzudenken. Wenn er nun von Bord geht, "dann nicht aus Angst, den Anschluss verpasst zu haben", sagt Christian Schreiber. "Ich habe mich jedes Jahr, auch nach Verletzungen, für die Nationalmannschaft qualifiziert, hätte mir das erneut zugetraut."

Private Gründe gaben den Ausschlag: die Familie, das sich dem Ende neigende Studium der Betriebswirtschaftslehre an der heimischen Martin-Luther-Universität. Christian Schreiber lehnt sich zurück, schließt die Augen, scheint zu träumen. Schnell kehrt er zurück in die Wirklichkeit, sagt mit einem Lächeln: "Ich habe es richtig gemacht. Meine eineinhalbjährigen Zwillinge Karl Johann und Richard brauchen ständig ihren Papa. Meine Frau Susann hat nach einem Jahr Pause auch wieder in ihrem Beruf als Logopädin begonnen. Da kann ich doch nicht wie früher pro Jahr mindestens 20 Wochen in der Welt zu Training und Wettkämpfen herumgeistern."

Christian Schreiber gibt zu, nach seinem letzten großen Wettkampf in Peking einige Monate hin und her gerissen gewesen zu sein. "Ich habe geschwankt, natürlich. Nach solch langen Jahren sagt man nicht einfach tschüs. Außerdem spukte da noch ein großes Ziel: eine olympische Medaille, die mir mit dem jetzigen Karriere-Ende versagt bleiben würde."

Zudem war der Hallenser als Aktivensprecher das Sprachrohr der Athleten in schwierigen Zeiten. Denn die erfolgsgewohnten deutschen Ruderer waren ziemlich von ihrem Kurs abgekommen. "Den Umbruch im Verband nach den Peking-Spielen habe ich begleitet", erzählt Christian Schreiber. "Es ging nicht, sich dabei rauszuhalten. Harte Worte sind gefallen. Nach der Inkompetenz der alten Verbands-Führung und einer gewissen Willkür bei der Besetzung von Nationalmannschafts-Booten mussten sich Dinge grundlegend ändern." Erst ein halbes Jahr später gab er seinen Sprecher-Posten ab. Mit der Gewissheit, der neuen Führung des Ruder-Verbandes geholfen zu haben, neue Wege zu finden. "Endlich", freut sich der ehemalige Weltklasse-Skulle, "sind Leute da, die Verantwortung übernehmen und sich nicht scheuen, auch mal auf den Tisch zu hauen."

Bei der Weltmeisterschaft in diesem Jahr in Poznan ging die deutsche Flotte schon wieder ganz anders zur Sache. Christian Schreiber hat sich als Zuschauer gefreut. "Ein Ruck ist durch das Team gegangen. Ich habe mitgefiebert, aber bereits eine angenehme Distanz verspürt." Spätestens da spürte er, dass es eine Rückkehr als Aktiver nicht geben wird.