Roman Polanski in der Schweiz festgenommen
Bern/dpa. - Gefängnis statt Auszeichnung: Der Regisseur und Oscar-Preisträger Roman Polanski ist am Samstag bei der Einreise in die Schweiz überraschend verhaftet worden. Dem 76-Jährigen droht die Auslieferung an die USA, wo er vor mehr als drei Jahrzehnten eine 13-Jährige vergewaltigt haben soll.
Polanski war vom Filmfestival Zürich eingeladen worden und sollte dort am Sonntagabend für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden. Die Schweizer Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sagte am Sonntag, es sei rechtsstaatlich vorgegangen worden. Auch Polanski habe das Recht, alle juristischen Mittel gegen seine Auslieferung auszuschöpfen. Er sitzt in einer Haftanstalt in Zürich.
Polanskis Verhaftung war nach Informationen der «Los Angeles Times» schon längere Zeit von der US-Justiz vorbereitet worden. Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass Polanski in einem Land festgenommen werden sollte, das ein Auslieferungsabkommen mit den USA abgeschlossen hat, zitiert die Zeitung die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Sandi Gibbons. Wenigstens zweimal schon seien alle erforderlichen Papiere in Los Angeles vorbereitet worden. «Aber offensichtlich bekam er Wind davon und änderte seine Reisepläne», sagte Gibbons.
Widmer-Schlumpf sagte im Schweizer Fernsehen, die USA hätten keinen Druck auf die Schweiz ausgeübt. «Wir haben immer erst im nachhinein erfahren, dass er (Polanski) hier gewesen sein soll», sagte die Ministerin als Begründung, warum der Zugriff erst jetzt erfolgte, obwohl Polanski schon mehrmals unbehelligt in der Schweiz war. Es sei das erste Mal seit Ausstellung des weltweiten US-Haftbefehls gewesen, dass er angekündigt habe, in die Schweiz zu reisen. Die Schweiz habe einen Vertrag mit den USA, der sie verpflichte, dem Haftbefehl nachzukommen. Vergewaltigung verjähre weder in den USA noch in der Schweiz, sagte die Ministerin. Das habe die Justiz zum Handeln gezwungen.
Der französisch-polnische Filmemacher hatte 1977 zugegeben, in der Villa seines Freundes Jack Nicholson ein Mädchen mit Champagner und Drogen zum Sex verführt zu haben. Während des Verfahrens war er dann aber 1978 nach Frankreich geflüchtet - und hatte die USA seither gemieden. Auch zur Oscar-Verleihung im Jahr 2003, wo er für «Der Pianist» als bester Regisseur ausgezeichnet wurde, wagte er die Einreise nicht.
Ministeriumssprecher Guido Balmer sagte der «Los Angeles Times», Polanski könne schon «in wenigen Tagen» dem Gericht in Kalifornien überstellt werden, wenn er seiner Auslieferung zustimme. Umgekehrt könnte sich das Verfahren in der Schweiz «Monate, wenn nicht sogar länger» hinziehen, sagte Guido Ballmer der Zeitung. US-Rechtsexperten zufolge könnte ihm eine Haftstrafe bis zu vier Jahren drohen.
Die französische Regierung zeigte sich überrascht über die Festnahme. Er sei «höchst erstaunt» über «das Vorgehen gegen den international renommierten Regisseur», erklärte Kulturminister Frédéric Mitterrand im Rundfunk. Präsident Nicolas Sarkozy wünsche «eine schnelle Lösung der Lage». Polanskis Anwalt Georges Kiejman kündigte an, gegen die Festnahme Widerspruch einzulegen. Polanski stammt aus Polen, Mitte der 70er Jahre nahm er die französische Staatsbürgerschaft an.
In der polnischen Hauptstadt Warschau sagte ein Außenamtssprecher, der polnische Botschafter in der Schweiz habe dem Regisseur Konsularhilfe angeboten. Außenminister Radoslaw Sikorski kündigte an, die US-Behörden um Gnade ersuchen zu wollen. Präsident Lech Kaczynski sagte, derartige Fälle seien «verdammt schwierig». Zuständig seien ja nicht die Bundesbehörden, sondern ein US-Staat.
Die Organisatoren des Filmfestivals wurden von der Verhaftung des Regisseurs total überrascht. Polanski war offiziell als Ehrengast eingeladen. Die Schweizer Filmszene zeigte sich empört. Das Vorgehen der Behörden sei nicht nur eine «groteske Justizposse, sondern auch ein ungeheuerer Kulturskandal», schrieb der Verband der Regisseure. Die Verhaftung werde dem Land weltweit Schaden zufügen, kritisierte der Verband Filmregie und Drehbuch. Das Festival verschob die geplante Ehrung Polanskis «auf einen unbestimmten Zeitpunkt», wollte den Regisseur aber wie geplant mit einer großen «Tribute to Roman Polanski»-Retrospektive würdigen.
Auch polnische Filmemacher machten gegen die Verhaftung von Roman Polanski mobil. In einem Schreiben an die Regierung hätten sie um eine «schnelle Intervention» gebeten, sagte der Chef der polnischen Filmemachervereinigung, Jacek Bromski. Die Verhaftung verstoße möglicherweise gegen das Völkerrecht, erklärte er der Polnischen Presse-Agentur PAP.
Für Unverständnis sorgte die Festnahme bei vielen auch deshalb, weil das damalige Opfer dem Regisseur längst öffentlich verziehen hat. Im Mai war Polanski dennoch endgültig mit seinem Antrag gescheitert, das Vergewaltigungsverfahren in Kalifornien für geschlossen zu erklären. Ein Gericht in Los Angeles lehnte sein Ersuchen ab und forderte das persönliche Erscheinen Polanskis. Der US-Haftbefehl gegen ihn liegt bereits seit 1978 vor, seit Ende 2005 gibt es einen internationalen Haftbefehl. Trotzdem konnte Polanski zum Beispiel im Frühjahr 2009 unbehelligt seinen neuen Film «The Ghost» mit Stars wie Pierce Brosnan und Ewan McGregor in Deutschland drehen, unter anderem auf Sylt.