Rodeln Rodeln: Ein argwöhnischer Italiener
Halle/MZ. - Diese Serie wird langsam unheimlich. Als die Oberwiesenthaler Rodel-Olympiasiegerin Sylke Otto vorigen Sonntag in Winterberg das Weltcup-Rennen gewann, war es der 80. deutsche Erfolg hintereinander. Am 18. Januar 1997 siegte in Königssee mit der Österreicherin Andrea Tagwerker letztmals eine Nicht-Deutsche.
Als Erklärung für die Überlegenheit müssen einige Versionen herhalten. Otto sei die Rodlerin mit dem besten Fahrgefühl im Hintern, lautet die volkstümlichste. Der Thüringer Hans Rinn aus Ilmenau, weltbester Rennschlittenfahrer der 70-ger Jahre, nennt diese Gründe: "Die deutschen Rodlerinnen trainieren so hart wie die Männer. Das gibt es sonst nirgendwo. Als Bundesgrenzschutz-Angehörige können sie sich voll auf ihren Sport konzentrieren. Im Gegensatz zu Österreicherinnen oder Italienerinnen, die sich um ihren Beruf kümmern müssen. Hinzu kommt ein vorzügliches Schlittenmaterial."
Der Italiener Walter Plaikner, Chef der Technischen Kommission des Welt-Rodelverbandes Fil, wirft jedoch den Deutschen Betrug vor. Angeblich würden ihre Schlitten manipuliert sein. Stein des Anstoßes ist die Verbindung zwischen den Kufen und der darüberliegenden Schiene. Bis 2002 durfte als Dämpfung eine Gummiplatte eingefügt werden. Nun ist eine feste Schraubenverbindung vorgeschrieben. Plaikner will bei der Oberhoferin Silke Kraushaar, Olympiasiegerin von 1998, in einer Fernseh-Zeitlupe ein verbotenes Luftpolster erkannt haben. "Lächerlich", sagt Sylke Otto. "Wir halten uns an die Vorschriften."
Rinn und Plaikner kennen sich 30 Jahre. Beide waren auf dem Rodel sehr erfolgreich. Rinn als zweifacher Olympiasieger im Doppel mit Norbert Hahn 1976 und 1980, als dreifacher Welt- und siebenfacher Europameister im Einzel. Plaikner gewann 1972 mit Paul Hildgartner olympisches Gold. "Aber eines war Plaikner schon damals eigen. Er glaubte stets, von anderen benachteiligt zu werden. Das verfolgt ihn offenbar noch heute", sagt Rinn.
Nachdem sich der Schlitten-Tüftler aus Thüringen eine Auszeit vom Rodeln genommen hatte und eine Firma gründete, die Wasserrutschen für Spaßbäder herstellt, folgte er vor drei Jahren dem Ruf der Fil, Athleten aus Schlittensport-Entwicklungsländern wie Japan, Korea, Rumänien oder Tschechien als Techniker beizustehen. Er hat im Auftrag des Weltverbandes in seiner Firma in Wümbach auch einen Schlitten entworfen und gebaut, den "Rinn-Rodel". "Dabei geht es natürlich um Neuerungen und Feinheiten", erzählt Rinn. "Ich habe es anfangs mit einer Federung probiert. Plaikner war schnell zur Stelle und beäugte argwöhnisch das Material. So ist er eben, der Walter Plaikner. Er macht manchmal auf wild."
Hans Rinn hat jetzt aufgrund der wirtschaftlichen Flaute in seinem eigentlichen Geschäftsfeld wieder mehr Zeit für den Rodelsport. In Winterberg verfolgte er voriges Wochenende als Betreuer von Rumänen und Tschechen das Theater um den angeblichen deutschen Betrug. An den Schlitten der deutschen Stars war dem 50-Jährigen nichts Regelwidriges aufgefallen.
"Klar, bei den hohen Belastungen auf Schienen und Kufen kommt es zu Verschiebungen", erklärt der Fachmann. "Plaikner hat ein Gerät entwickelt, das den Abstand misst." Vertretbar sind bis zu vier Millimeter "Luft". Bei Messungen kürzlich in Altenberg war Olympiasieger Armin Zöggeler dem Grenzwert mit 3,5 Millimetern so nahe gekommen wie kein Anderer. Zöggeler ist Italiener - wie Plaikner.