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Profiboxen Profiboxen: «Ick bin die Pfeife der Nation»

Von Christoph Karpe 26.11.2006, 18:48

Halle/MZ. - Über der Bar im ersten Stock des Sporthotels von Halle in Westfalen grinsen die Altstars des Tennis, die früher nebenan im Gerry-Weber-Stadion erfolgreich aufgeschlagen haben. Axel Schulz registriert die in Öl verewigten Konterfeis von Becker, Edberg, Leconte & Co. nicht. Mit tief ins Gesicht gezogenem und obligatorischem Basecap, das die tiefblau-rot gefärbten und dick geschwollenen Augenpartien nur unzureichend verdeckt, schlurft er vorbei in den rappelvollen Nachbarraum. Dort läuft die Pressekonferenz. Da tönt das Gefolge von US-Boxer Brian Minto ("The beast"), man komme natürlich gern wieder nach Deutschland, man habe einen so tollen Kampf geliefert, und man wolle jetzt bald Weltmeister werden. Das Übliche also, was Sieger so erzählen.

Axel Schulz hebt den Kopf, hört zu. Ein Teil des Rots um die Pupillen geht unverkennbar nicht auf das Konto von Minto. Engste Vertraute nehmen ihn in den Arm. Der Mann braucht einfach Trost, sonst heult er gleich los. Doch er reißt sich zusammen. Gleich wird wieder das Blitzlichtgewitter beginnen. Und wenn man schon als "weicher Riese" und ewiger Verlierer gilt, da will man nicht sogar noch als Heulsuse auf die unterste Skala des Mannhaften herabgestuft werden. Zumal Schulz in trauriger Selbsterkenntnis eh weiß: "Jetzt bin ick die Pfeife der Nation."

Auf seinem Platz angekommen, versucht er dann mühsam zu erklären, was da eine Stunde zuvor mit ihm während 23 grauenvoll-schmerzhaften Minuten im Boxring passiert ist, jenes Desaster, diese hochnotpeinliche Vorstellung, diesen hilflosen Versuch, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Nach sieben Jahren Ringpause hat ihn dieser Nobody Minto nach Strich und Faden verprügelt. In Runde sechs fliegt das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe aus seiner Ecke. Zeitgleich stoppt der Ringrichter diese Comeback-Farce, die zwölf Millionen TV-Zuschauer verfolgt hatten.

Die 14 000 Fans in der Arena pfeifen sich den Frust von der Seele. Sie haben schließlich größtenteils mehr als 100 Euro für das Ticket bezahlt, sich fein herausgeputzt, lange geduldig zu hunderten in der Schlange vor der Sicherheits-Kontrolle gewartet - und dann das: Schulz als personifizierte Hilflosigkeit. Hat der 38-Jährige überhaupt trainiert oder lediglich in seiner Wahlheimat Florida im Liegestuhl gelegen? Schauspieler und Hobby-Boxer Heinz Hönig, einer von zahlreichen Promis am Ring, hätte sich gegen dieses "Biest"(chen) Minto gewiss besser verkauft. So der ärgerliche Eindruck.

Schulz kann all den Frust sogar verstehen: "Ick hab ja beschissen geboxt." Zugleich versucht er eine Entschuldigung. "Als ich in die Halle hinein kam, hat es reingeknallt, da hat mich die Atmosphäre erdrückt." Im Ring verliert er sein Nervenkostüm komplett, gibt sich wie der Kaiser in neuen Kleidern aus dem Märchen der Lächerlichkeit preis. Von all dem Antrainierten ist nichts mehr zu sehen. Es fehlt Schulz an Puste, an Technik, an Kraft. Ex-Champion Graciano Rocchigiani bringt es in seiner brutal-direkten Art auf den Punkt: "Es war so schlecht, dass man die Augen schließen musste."

Schulz verschließt die verquollenen Augen nicht mehr vor der Realität. Er hat Antworten an diesem Abend gesucht und die wichtigste bekommen: "Im Boxgeschäft habe ich nichts mehr verloren." Aus. Er tritt als der Verlierer ab, der er immer war. Nur hat er nun auch Symapathien verloren. Wirtschaftlich kommt er mit einem blauen Auge davon. 400 000 Euro haben er und sein Manager Wolfram Köhler in die Vorbereitung, die es in der intensivsten Form wirklich gegeben hat, investiert. Drei Millionen Euro soll seine Börse betragen haben. Abzüglich Steuern und ähnlichem bleibt ein Plus.

Doch das große Geschäft ist geplatzt. RTL will die Renaissance der Altstars groß aufziehen. Die erste vermeintliche Granate entpuppt sich nun als Rohrkrepierer. Am 31. März 2007 soll Henry Maske sein Comeback geben. Wirklich? Schulz will Maske nicht abraten. "Er muss selbst wissen, was er tut", sagt er und geht zur Bar, um seine Depression in Bier zu ertränken. Er selbst weiß jetzt: Ich hab das Falsche getan.