Picassos Alterswerk in Düsseldorf
Düsseldorf/dpa. - Wie Zangen umklammern sich Arme und Beine des nackten Paares, bäumt sich fahl-rosa Fleisch zu einer kubisch-kantigen Pyramide. Die mächtige, blaue Meereswoge im Hintergrund ist Idyll und Bedrohung zugleich.
«Die Umarmung» nannte der 91-jährige Pablo Picasso (1881-1973) lakonisch sein letztes Meistergemälde, das wenige Monate vor seinem Tod entstanden ist: Abschied und Hommage des Jahrhundert-Künstlers von Malerei und Eros gleichermaßen.
Das Werk ist Schlusspunkt der umfangreichen Ausstellung «Picasso - Malen gegen die Zeit», mit der die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf bis zum 28. Mai Einblick in die letzte Phase im Lebenswerk des Spaniers gibt. Die gut 60 Gemälde, rund 100 Zeichnungen, Radierungen und Skulpturen waren bereits in der Wiener Albertina ausgestellt, 350 000 Besucher wurden dort gezählt.
Mit dem «Malen gegen die Zeit», so erklärte Picasso-Experte Werner Spies, wollte der Künstler die Unabhängigkeit vom Zeitgeist der Abstraktion sowie die Auflehnung gegen sein eigenes Altern unterstreichen. Der Maler, der der Welt rund 35 000 Werke hinterlassen hat, blieb auch jenseits des 80. Lebensjahres im wahren Schaffensrausch, malte gleichsam auf der Überholspur: «Seine letzten zehn Jahre sind an Bildern doppelt so reich wie das Jahrzehnt zuvor», schätzt Spies im Gespräch mit dpa.
Wohl manch Routiniertes, ästhetisch Flaches, das die Ateliers Picassos in späten Jahren verlassen hat, mag zum kritisch-abschätzigen Urteil von Zeitgenossen beigetragen haben, dem Spies mit seiner Ausstellung widersprechen will. Die verborgene Dialektik zwischen «wilden», furiosen Gemälden und akribischen Zeichnungen, die gemeinsam das Alterwerk ausmachten, sei nicht genügend bedacht worden. Angesichts der rasant ablaufenden Lebenszeit habe Picasso jeder Kunst-Äußerung nur ein bemessenes Zeitbudget zur Verfügung gestellt. Die «Klappskulpturen» aus Blech nach «Schnittmustern» aus Papier wie «Kleine Frau mit ausgebreiteten Armen» (1961) kommen dieser Arbeits-Ökonomie entgegen.
Souverän fließen in das motivisch schmale, meist aus Liebespaaren oder Akten bestehende Spätwerk Stilwendungen und Erfahrungen aus 70 Malerjahren vom Kubismus bis zum Surrealismus ein. Die Lebenserfahrungen des alternden Mannes addieren sich ebenso dazu wie das imaginäre, kunsthistorische «Duell» mit den klassischen Akten Cranachs oder Tizians. «Der Raub der Sabinerinnen» (1962) in fahlem Schwarz-Grau scheint in unmittelbarer Umgebung der 25 Jahre zuvor gemalten Kriegsanklage «Guernica» entstanden zu sein.
Stolz-überhebliche Musketiere im lächerlich bunten Wams mit phallisch-langen Pfeifen, der Matador mit der Nackten im Arm, dessen Degengriff ein unübersehbares «P» formt, sind verkappte Selbstbildnisse. Hier und da der Maler als «Spanner» angesichts seiner üppigen, nackten Modelle. Durchweg tragen die Werke ein exaktes Datum mit dem klaren Signal - «Schaut her, ich kann es täglich!»
Verwunderlich die Sicherheit, mit der à la Matisse der Bleistift ohne abzusetzen präzise den weiblichen Körper aufs Papier bringt («Liegender Akt und Mann mit Maske»/1969). Vibrierend in vielen Motiven die Spannung zwischen Schönheit und Grauen angesichts des nahenden Endes: Ob im barock-üppigen «Stillleben mit Katze und Hummer» (1962) oder im Porträt der jungen, ihr Kätzchen neckenden Gattin Jaqueline («Frau mit Katze spielend»/1964), selbst das Getier wirkt seltsam dämonisch.
Das 1972 gezeichneten «Selbstporträt» aus Türkis und schrillem Violett mit durchdringendem Blick aus Totenkopf-Augen ist eine absolute Rarität im sonst an Motiven überbordenden Werk Picassos. Der Ausnahme-Künstler, der «große Schatten über das Jahrhundert warf» (Spies), scheute zeitlebens den Blick in den Spiegel.