Pferdesport Pferdesport: Vielseitigkeitsreiter feiern kurzfristig «verlorenes» Gold

Athen/dpa. - Ein angeblicher Regelverstoß mit fataler Wirkung - die in Englandlebende Amazone hatte beim Teamritt die Startlinie zwei Mal überquert- wurde von der «Ground-Jury» zunächst mit 14 Strafpunkten geahndet.Für eine gute Stunde waren die fassungslosen Deutschen damit das Goldwieder los und hatten nur Blech in Händen, weil sie sogar auf Rangvier zurück gefallen waren.
Enorme Nervenstärke bewies Hoy dann am Abend in derEinzelentscheidung, als sie sich nach dem ganzen Hickhack um dasMannschafts-Gold nur einen Abwurf und zwei Fehlerpunkte fürZeitüberschreitung leistete und davon profitierte, dass der inFührung liegende Franzose Nicolas Touzaint als Schlussreiter mehrfachpatzte. Silber gewann die Britin Leslie Law, Dritte wurde KimberlySeverson aus den USA. «Papi, ich hab' Gold», rief Bettina Hoy insZDF-Mikrofon, nachdem sie an der Schulter ihres Mannes Andrewhemmungslos geweint hatte. «So was kann man sich in den wildestenTräumen nicht vorstellen», sagte sie zu den Vorkommnissen. «Das isteinfach unglaublich.» Allerdings kündigte der Trainer derviertplatzierten US-Mannschaft an, das drei Teams einen Protest gegendie Wertung erwägen.
Unglaubliche Jubelszenen hatten sich schon vor dem zweiten Gold-Coup der 41-Jährigen abgespielt, als die Mannschaft mit HinrichRomeike (Nübbel) mit Marius, Frank Ostholt (Warendorf) mit AirJordan, Andreas Dibowski (Döhle) mit Little Lemon und Ingrid Klimke(Münster) mit Sleep Late und Hoy doch wieder zum großen Gewinnergeworden war. Mit 133,80 Punkten lag die deutsche Equipe deutlich vorWeltmeister Frankreich (140,40) und Großbritannien (143,00).
«Entscheidend war, dass die Zeitmessung nicht anging, als Bettinaüber die Startlinie geritten ist. Deshalb ist sie ein zweites Malangeritten», sagte Jens Adolphsen, Vorsitzender des Vielseitigkeits-Ausschusses der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Hoy hatte beiihrem Mannschafts-Ritt die Lichtschranke des Parcours passiert,danach aber noch eine Volte geschlagen. Erst beim zweiten Anlaufstartete die Zeitnahme. Verbandspräsident Jürgen Thumann sprachsofort von einer «falschen Entscheidung». Auch der ehemaligeSpringreiter-Europameister Paul Schockemöhle war entrüstet undmonierte: «Man kann nicht eine falsche Richterentscheidung zu Lastendes Sportlers auslegen. Das ist eine Frechheit.» Auch er warhinterher erleichtert: «Das ging auch gar nicht anders, als dieseEntscheidung zurückzunehmen.»
Als vorletzte Starterin war Hoy mit dem Wissen in den Parcoursgegangen, dass sie mit einem fehlerlosen Ritt Gold holen würde. 20Jahre nach dem Gewinn der Mannschafts-Bronzemedaille in Los Angelesblieb die 41-Jährige «cool» und leistete sich keinen Abwurf: «Jegrößer der Druck ist, desto besser reite ich. Ich habe mich vor vierJahren unheimlich für meinen Mann gefreut, als er Gold mit dem Teamholte. Dass ich das jetzt selbst erlebe, ist unglaublich», sagte dieFrau von Sydney-Olympiasieger Andrew Hoy (Australien).
«Das ist irre, oder? Das ist der totale Wahnsinn», meinte einüberwältigter Bundestrainer Hans Melzer, ehe das Drama um denkurzfristigen Verlust der Goldmedaille seinen Lauf nahm. Der Triumphdes deutschen Quintetts ist auch darum besonders hoch zu bewerten,weil das Team den kurzfristigen Ausfall von Klimke durch dieVerletzung ihres Pferdes wegsteckte.
Einen Schock löste der Tod des Pferdes Over and over aus, das dieolympische Zukunft der ganzen Disziplin bedroht. Das im Geländeschwer gestürzte Pferd des Belgiers Joris Vanspringel isteingeschläfert worden, weil die Schädigung durch den Bruch desOberschenkelknochens am linken Hinterbein zu groß war. Wegen schwererStürze mit Todesfolge stand die früher Military genannte Pferdesport-Disziplin auf der Streichliste der IOC-Programmkommission.
«Ich glaube nicht, dass das zu neuen Diskussionen führen wird»,sagte Hanfried Haring, Präsidiumsmitglied im Welt-Reitverband (FEI).«Es ist sehr schade um das Pferd, aber solche Stürze können auch beieinem Ausritt passieren.» Haring betonte: «Der Sturz lag nicht an derStrecke.» Der Geländeritt war nach dem Druck des InternationalenOlympischen Komitees (IOC) von rund 20 Kilometer in Sydney auf etwa5570 Meter verkürzt und auf die reine Querfeldeinstrecke reduziertworden. Für die nächsten Spiele 2008 in Peking steht dieVielseitigkeit bereits auf dem Programm.