Paul Auster Paul Auster: Im neuen Roman sprechen Tote im Stummfilm
Reinbek/Hamburg/dpa. - Schließlichspricht sogar der Ich-Erzähler im «Buch der Illusionen», Austerserstem Roman seit 1996, aus dem Grab zum Leser. Zimmer schreibt amEnde, das Buch dürfe erst nach seinem Tod veröffentlicht werden.Hector Mann hatte gar verfügt, dass sein heimlich produziertesGesamtwerk, das Zimmer als einer von ganz Wenigen zu sehen bekommt,nach dem Ableben zu vernichten sei.
Das klingt alles ziemlich schwermütig. Aber der 55-jährige Austerhat von Kritikern nicht ganz zu Unrecht den Stempel «Bestseller-Existenzialist» aufgedrückt bekommen, weil er bei früheren Büchernvon der «New York Trilogie» bis zu «Mr. Vertigo» grundlegende Fragenan die eigene Existenz mit packenden und durchaus unterhaltsamenGeschichten angegangen ist. Im «Buch der Illusionen» schöpft der inBrooklyn lebende Autor kräftig aus seiner Begeisterung für das MediumFilm. Hemmungslos melodramatisch wie sonst wohl nur Hollywood lässter seine Hauptperson per gezücktem Revolver in der Hand eine Fraunamens Alma zu einem Besuch bei Hector Mann auf dessen Wüstenranchzwingen. Zimmer und Alma verlieben sich stürmisch ineinander, ihrTrip nach New Mexico wird zu einer Atem beraubenden Abfolge Atemberaubender Ereignisse - mit tödlichem Ausgang.
Bis zu diesem Ende erfährt der Leser immer mehr über das Leben des1900 geborenen Hector Mann, der nach einigem Erfolg als Stummfilmstarseit 1929 als verschollen galt. Nach und nach wird klar, dass seinselbst auferlegter Zwang zur Nicht-Veröffentlichung und Vernichtungaller mit einer Künstlerkolonie in der Wüste produzierten Filme nichtzuletzt der verzweifelte Versuch ist, eigene Schuld am tödlichenAusgang einer Liebesbeziehung aus den Hollywood-Zeiten zu sühnen.
Auster flicht anscheinend oder scheinbar realistische biografischeErzählstränge fast immer geschickt und mitunter kunstvoll mitphilosophischen Reflexionen über das Verhältnis von Kunst, Leben undTod zusammen. Seine Freude an ähnlich heftigen «Armbewegungen» wie imStummfilm lebt er nicht nur mit der drehbuchartigen Widergabe vonFilmen Hector Manns, sondern über das ganze Buch aus. In einemInterview mit der Zeitung «Politiken» meinte Auster: «Ich liebeStummfilme. Der wahre Film ist stumm. Seine Bewegungsenergie ging zuGunsten von Erzählung und Zusammenhang verloren, als man auf derLeinwand zu sprechen begann.»
In seinem neuen Roman, dessen sehr solide deutsche Übersetzungdurch Werner Schmitz noch vor dem im Herbst erscheinendenamerikanischen Original veröffentlicht wurde, feiert Auster denStummfilm, weil er auch eine sehr reine, von jedermann als solche zudurchschauende Form von Illusion war. Komplizierter verhält es sichda schon mit einem «Buch der Illusionen», ganz zu schweigen vom Lebenund vom Tod.
Damit niemand Klärung erwarte, lässt Auster seinen Helden auchnebenbei noch die (tatsächlich geschriebene) Autobiografie desFranzosen Francois-René de Chateaubriand übersetzen, in der es hieß,der Tod offenbare die Geheimnisse des Lebens nicht.
Paul Auster: Das Buch der Illusionen, Roman; Deutsch von Werner Schmitz Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 383 S., Euro 19,90, ISBN 3 498 00052 7