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Nur die Puppe verloren

Von Andreas Morbach 10.08.2012, 19:55

London/MZ. - Bei der Geschichte mit der Gummipuppe dachte Julius Brink dann doch mal kurz an die Etikette. "Ich weiß nicht, ob ich das hier sagen kann - auf Englisch", kokettierte der 30-Jährige mit dem Dreitagebart zunächst mit sprachlichen Barrieren. Dabei freute er sich da schon diebisch auf die Geschichte, die er in dem wackligen Zeltaufbau in einer Ecke des Londoner Beachvolleyballareals gleich zum Besten geben würde. Es war die olympische Lieblingsanekdote des gebürtigen Münsterländers Brink und von Jonas Reckermann - seinem drei Jahre älteren Sportpartner, mit dem er kurz zuvor einen historischen Triumph gefeiert hatte.

Seit Donnerstag, 22.02 Uhr Ortszeit, sind Brink und Reckermann die ersten Europäer, die sich in ihrer Branche olympisches Gold erschmettert haben. In einem hochklassigen und dramatischen Finale besiegten sie die favorisierten Brasilianer Emanuel Rego und Alison Cerutti in drei Sätzen 23:21, 16:21, 16:14 - und dann erzählte Julius Brink von der Gummipuppe. Auf Englisch. Wie er und Reckermann, auf der Suche nach einem Maskottchen, im Internet eine Gummipuppe bestellt hatten. Die sie dann hübsch mit ein paar Kleidungsstücken behängen wollten.

Das Problem: Auf dem Weg zum Olympiasieg waren die Betten von Reckermann und Brink im Olympischen Dorf öfter mal verwaist: Um es näher zum Center Court auf dem Horse Guards Parade, dem Paradeplatz gleich neben der Downing Street 10, zu haben, hatte das Duo dort extra ein Apartment angemietet. Ihrer Liebespuppe bekam das allerdings nicht gut - wie Julius Brink mit Hinweis auf die Teamkolleginnen Sara Goller und Laura Ludwig berichten musste. "Was aus der Gummipuppe geworden ist, als die Mädchen ausgeschieden waren - das können sich die Männer hier im Raum nicht vorstellen", meinte der bekennende Fußball-Fan von Bayer 04 Leverkusen nur.

Wie ein altes Ehepaar

Jonas Reckermann hält mehr zum benachbarten 1. FC Köln - viel mehr Streitpotenzial gibt es bei dem Duo jedoch nicht. Im Gegenteil: Seit Blockspezialist Reckermann und Abwehrexperte Brink vor drei Jahren sportlich zusammen fanden, geht es ihnen manchmal wie einem Ehepaar kurz vor der goldenen Hochzeit. "Er mag gutes Essen und Kaffee - also habe ich auch angefangen, gut zu essen und Kaffee zu trinken", plauderte Reckermann ein wenig über Details aus dem Privatleben - und schlug dann den Bogen zum gemeinsamen Arbeitsplatz im Sand: "Wenn wir auf dem Feld stehen, sind wir nicht zwei einzelne Individuen, sondern ein Team."

Ein Team, in dem die charakterlichen Einflüsse aber klar verteilt sind. Er sei einer, erklärt Sportsoldat und Beachvolleyballprofi Brink, "der über das Emotionale kommt und auch mal lauter werden kann". Zu Reckermann, Student der Geographie und Vollbartträger, fällt ihm hingegen ein: "Ein sehr strukturierter Typ, mit Weitblick."

Suche nach einem Feier-Club

Der half dem Duo in der Nacht nach ihrem großen Triumph allerdings wenig. Hatten die Goldmedaillenträger doch die gewöhnungsbedürftige Vorliebe der Londoner zu geschlossenen Partys und strengen Türstehern unterschätzt. Bis drei Uhr hatten sie immerhin einen italienischen Club gefunden, wo sie ihren Erfolg gebührend feiern konnten. Dann wurde dort dichtgemacht, und als die siegreichen Sand-Männer anschließend zusammen mit ein paar anderen Athleten ein Ausweichetablissement ausfindig machen wollten, kam das böse Erwachen. "Wir wollten alle noch irgendwo feiern, aber wir kamen in keinen Klub mehr rein", beklagte sich Jonas Reckermann am Freitagmorgen. Sie zogen weiter, Brink mit der Goldmedaille um den Hals und einem goldenen Hut auf dem Kopf. Um 5.30 Uhr soll die Party-Tour beendet gewesen sein, berichteten Augenzeugen.

Auf dem Horse Guards Parade hatte der Kölner Reckermann nachts um halb zwölf noch von einem "richtig großen Match für unseren Sport" und von einem "irren Spiel mit so vielen Ups und Downs" geschwärmt. Dessen Folgen sind jedoch bis auf weiteres offen. "Es kommt jetzt allmählich durch, was dieser Sieg bedeutet. So langsam gewöhne ich mich daran", sagte Reckermann: "Es ist unglaublich, dass wir Gold geholt haben. Es ist wie ein Traum." Dann schloss er seine schwangere Freundin Katja innig in die Arme.

Brink blickte voraus. "Wir beide werden uns in unserer Persönlichkeit nicht allzu sehr verändern - aber in Deutschland wird unser Sport durch diesen Abend einen großen Schub bekommen", wagte Julius Brink immerhin eine allgemeine Prognose. Was dieser traumhafte Donnerstagabend nahe der Themse aber für ihn und seinen rothaarigen Mitstreiter bedeutet, vermochte der Mann mit dem lockeren Mundwerk nicht zu prophezeien.

Teilnahme in Rio ist offen

2009 waren sie zusammen Weltmeister, jetzt haben sie mit dem Olympiasieg von London den höchsten Gipfel in ihrer Sparte erklommen. "Wir haben im nächsten Jahr noch eine WM in Polen, dort werden wir auf jeden Fall spielen", gab Julius Brink zumindest bekannt. Weiter, etwa bis zu den nächsten Spielen 2016 in Rio de Janeiro, wollte der dreifache WM-Medaillengewinner aber nicht blicken. "Fragt", bat Brink, "in zwei Wochen noch mal nach, wenn ich darüber nachgedacht habe." Dann musste er erst einmal ins Bett.