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Norwegen Norwegen: Auf dem Königsweg

Von Matthias Huthmacher 19.07.2005, 13:50
Neugierige Moschusochsen: Wer einen Mindestabstand von 200 Metern einhält, hat von den bis zu 400 Kilogramm schweren Tieren nichts zu befürchten. (Foto: dpa)
Neugierige Moschusochsen: Wer einen Mindestabstand von 200 Metern einhält, hat von den bis zu 400 Kilogramm schweren Tieren nichts zu befürchten. (Foto: dpa) Dombas Turistkontor

Oppdal/dpa. - «Einig und treu bis das Dovre fällt.» So sangen1814 die Väter der norwegischen Verfassung in Eidsvoll. Es dauertedann zwar noch 91 Jahre, ehe Norwegen aus der ungeliebten Union mitSchweden in die Selbstständigkeit entlassen wurde - das Dovrefjellaber galt den Norwegern fortan als Nationalheiligtum. Und das nichtbloß, weil die Höhen des Dovre unerschütterliche Standhaftigkeitsymbolisieren, sondern auch das Überwinden aller Schwierigkeiten beimStreben nach Einheit.

Jahrhunderte lang hatten die Gebirgsmassive am nördlichen Ausgangdes idyllischen Gudbrandsdal den Wikingern als unüberwindlicheBarriere im Weg gestanden. Kein Wunder, dass sie den Norden zunächstüber den Seeweg kolonialisierten. Doch spätestens mit der Gründungder Königsstadt von Nidaros im Jahre 997 auf dem Gebiet des heutigenTrondheim erwies sich eine Landverbindung zwischen Süd und Nord alsunumgänglich: Städtebauer Olav Tryggvason einigte dabei auch gleichdie Kleinfürstentümer erstmals in einem Reich.

Die Straße über den Rücken des Dovrefjells erhielt denn auch denNamen «Königsweg», und im Mittelalter zogen Pilger aus ganz Europaüber die Hochebene zum Nidaros-Dom. Heute dient die historische Routeals Wanderweg, während die Europastraße 6 zwischen Dombås und Oppdalüber weite Strecken mehr oder weniger parallel dazu verläuft.

Gleich hinter Dombås beginnt der Anstieg, kurvt die Straße aufwenigen Kilometern steil bis auf 1000 Höhenmeter nach oben.Strahlender Sonnenschein taucht das weite Hochland in seien Glanz. ImHochsommer grünt es hier in allen Schattierungen, dazwischen blinkenBachläufe und zahllose Tümpel, aus dem feuchten Braun sumpfigerMoraste sprießen die weißen Büschel des Wollgrases. Mehr als 200Pflanzenarten gedeihen in dieser nur scheinbar artenarmen Landschaftund manche, wie den Dovremohn, gibt es nur hier.

Bereits Anfang September aber reichen sich die Jahreszeiten dieHand: Der Herbst kündigt sich mit ersten Farbtupfern an. Spätsommeroder früher Herbst - darüber entscheiden mitunter nur wenige hundertHöhenmeter, die zwischen der welligen Tundralandschaft und denschneebedeckten Gipfeln am Horizont liegen. In das immer noch satteGrün der Gebirgswiesen mengt sich dann das rostige Braun der Farne,dazwischen lugen in tiefem Violett vollreife Blaubeeren hervor.

Erlen und Eschen tragen noch mehrheitlich ihr helles Grün, währenddie Birkenhaine bereits goldenen Glanz angelegt haben. In einer Wochewird die gesamte Vegetation in einer einzigen Farbenprachtexplodieren, dann herrscht Indian Summer, bis die Stürme von Nordenund Westen her die Landschaft für den Winter kahl fegen.

Der ursprüngliche Nationalpark misst nur 265 Quadratkilometer,bildet jedoch seit dem Jahr 2002 gemeinsam mit demSunndalsfjell-Nationalpark und angrenzenden Naturschutzgebieten eine6100 Quadratkilometer große Fläche. Das ist mehr als doppelt so großwie das Saarland. Man durchmisst diese endlose Einsamkeit entweder zuFuß oder auf dem Pferderücken, auf eigene Faust mit Karte und Kompassoder begleitet von einheimischen Profis, die nicht nur alleTrekkingpfade kennen, sondern auch die geheimen Wechsel der Elche,Wildrentiere und Luchse.

Und dann steht urplötzlich ein Bison im Weg! Nun ja, nicht ganz -aber imposant sind diese mächtigen Geschöpfe schon, die ebenfalls dieparadiesische Wildnis besiedeln: Moschusochsen. Dreimal hatte manzwischen 1920 und 1950 versucht, die aus Grönland stammenden Tiere,biologisch eine Art Mittelding zwischen Rind und Schaf, hieranzusiedeln. Schließlich schafften es 23 Stück - heute zählt derStamm über 100 Exemplare. Rund anderthalb Meter Schulterhöhe,zweieinhalb Meter Körperlänge und bis zu 400 Kilo Gewicht, eindichter, zotteliger Pelz und zwei Respekt einflößende, gewundeneHörner bei den Herren der Schöpfung - da kann einem schon derSchrecken in die Glieder fahren.

Es gibt nur wenige Menschen, die diesen Ungetümen so nahe gekommensind wie Dieter. Der hatte so ein Erlebnis der besonderen Art: DerNaturbursche aus Deutschland war mit der Bahn angereist undmutterseelenalleine hinaus gezogen ins große Nirgendwo. Als er amzweiten Morgen aus dem Zelteingang kroch, waren da diese seltsamenSteinblöcke rund um seinen Lagerplatz, 14 oder 15 Stück, und diebewegten sich! Er tat das Richtige und blieb im Zelt, bis diefriedlich grasende Moschusherde weiter gezogen war.

Knut Harald Granlund, der von Dombås aus Rentier- undMoschus-Safaris für umgerechnet 30 Euro pro Person führt, erklärt dieSpielregeln: «Wer sich den Tieren auf 200 Meter nähert, hat nichts zubefürchten. Bildet die Herde einen Kreis, ist dies das ersteAnzeichen dafür, dass sie sich bedroht fühlt.» Wer sich dann nochweiter heran wagt, erhält eine Warnung in Form eines Scheinangriffs -doch wer einmal aus der Ferne gesehen hat, wie zwei rivalisierendeOchsen mit 40 Meter Anlauf gegeneinander anrennen, um beim Kopfstoßdie knöchernen Stirnpanzer nur so krachen zu lassen, der legt nunwirklich keinen Wert mehr auf engere Tuchfühlung.

Abenteuer bietet das Dovrefjell jedoch auch andersweitig, und esist für fast jeden Geschmack etwas dabei. Alpinisten beispielsweisebesteigen von der Reimheim-Hütte aus den 2286 Meter hohen Gipfel desSnøhetta. Wer noch höher hinaus will, lässt sich in Oppdal zumDrachenfliegen verleiten. In den Flussläufen der Täler kann Kanugefahren werden, und dort, wo es besonders wild und schön schäumt,locken Rafting-Touren.

Oder man schließt sich einem Original wie Kjell Arve Isbrekken anund geht auf Goldsuche. Der Bursche scheint einem Film entsprungen zusein: ein sehniger Typ mit breitkrempigem Hut auf dem Kopf, wildwucherndem Rauschebart im hageren, von Wind und Wetter gegerbtenGesicht und an den Füßen klobige Stiefel. 1991 hatte er einen wahrenGoldrausch ausgelöst, als er mit einem ordentlichen Fund desglänzenden Edelmetalls im Rucksack aus der Wildnis zurückkehrte.

Seither ziehen immer wieder Abenteuerlustige von Oppdal oder dem25 Kilometer weiter südlich gelegenen Driva aus los, entweder auf gutGlück oder unter der Anleitung kundiger Leute wie Kjell Arve. In denTälern des Aamotselva und des Drivdal klopfen sie dann Steine,waschen den Sand der Flüsse und immerhin: Die Chancen auf ein einigeMilligramm des güldenen Staubs stehen gar nicht schlecht - Geologenhaben den Goldgehalt der Region auf etwa 200 Gramm pro TonneGesteinsmasse berechnet. Doch selbst wer kein Gold entdeckt und erstrecht nicht reich wird: Ein paar seltene Mineralien gibt es allemal.

Man kann das Dovrefjell aber auch unter einem ganz anderen Aspekterleben und den Spuren der Alten folgen. Dazu bietet sich Besuch desBauernhofs Jørundgård an, der im Süden der Berge bei Nord-Sel liegt:Dieses Anwesen aus dem Mittelalter wurde 1995 eigens für Liv UllmannsVerfilmung der Geschichte der «Kristin Lavranstochter» restauriertund dient heute als Museum. Der weitere Weg ist auch der Weg ausSigrid Undsets großem Roman über die Lavranstochter, die in ihrerLiebes- und Lebensnot ebenfalls das Dovrefjell querte.

Gehöfte wie Skeie Gård und Budsjord Gård geben einen gutenEinblick, wie es damals wohl gewesen sein mag. Sie liegen heute wievor hunderten von Jahren am Wegesrand und bieten einfache Unterkunft.Dagegen hat sich die historische Kongsvold Fjellstue aus dem 12.Jahrhundert schon lange zum ebenso sehenswerten wie gemütlichen Hotelgemausert. Und am Ende des Weges betritt der Wanderer wie seinerzeitdie Lavranstochter in Trondheim den Nidaros-Dom, taucht ein in seinemystische Atmosphäre und kann vielleicht erahnen, warum bereits inalter Zeit Menschen die weite und beschwerliche Wanderung über dasDovrefjell auf sich nahmen.

Die Nationalparks Dovrefjell und Sunndalsfjell haben zusammen eine Fläche von rund 6100 Quadratkilometern - mehr als doppelt so viel wie das Saarland. (Grafik: dpa)
Die Nationalparks Dovrefjell und Sunndalsfjell haben zusammen eine Fläche von rund 6100 Quadratkilometern - mehr als doppelt so viel wie das Saarland. (Grafik: dpa)
Sven-E. Hauschild