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MZ im Gespräch mit Jenny Erpenbeck MZ im Gespräch mit Jenny Erpenbeck: Die Kindheit kehrt zurück

Von Christian Eger 02.07.2003, 15:29

Berlin/MZ. - Frau Erpenbeck, Sie sind die Enkelin von Hedda Zinner und Fritz Erpenbeck, einem in der DDR berühmten Autorenpaar. Wurden Sie von Ihren Großeltern geprägt?

Erpenbeck: (lacht) Ja, dadurch, dass ich immer als die Enkelin eines berühmten Autorenpaares galt, und es deshalb schwierig war, meine eigene Existenz zu definieren. Generell wurde ich durch einen Haushalt mit Büchern geprägt, in dem gelesen und über Literatur diskutiert wurde. Mein Großvater starb leider schon, als ich noch ein Kind war, aber meine Großmutter habe ich als eine beeindruckende Persönlichkeit erlebt, die nicht auf den ersten Blick zu durchschauen war - und die ich sehr mochte.

Was hat Sie beeindruckt?

Erpenbeck: Sie war wirklich das, was man eine Grand Dame nennt - wohl eines der wenigen Exemplare dieser Gattung in der DDR.

Ein Rest von Bürgertum?

Erpenbeck: Ja, da schlug wohl ihre Wiener Herkunft durch.

Haben Ihre Großeltern Ihren Blick auf die Gegenwart beeinflusst?

Erpenbeck: Allein durch die Erfahrung der Wende, die meine Großmutter schwer getroffen hat. Weil sie Kommunistin war und für den Sozialismus ihr Leben und ihre Kunst eingesetzt hatte. Durch die Wende musste sie erleben, wie das alles den Bach hinunterging. Zu sehen, wie sich so ein Lebenswerk innerhalb weniger Monate in nichts auflöst, das hat mich geprägt. Unabhängig davon, wie man zu diesem Lebenswerk im einzelnen steht. Meine Großmutter ist an dieser Zeit tatsächlich zerbrochen.

Gibt es eine Frage, die Sie heute Ihren Großeltern stellen würden?

Erpenbeck: Oh, Gott! Nur eine? Ich würde viel mehr über meine Herkunft, meine Familie, wissen wollen. Interessieren würden mich die Wiener Jahre meiner Großmutter und die Jahre der Emigration.

Ihre Erzählung "Sibirien" führt zurück in die Nachkriegszeit. Was interessiert Sie an dieser Zeit?

Erpenbeck: Die Frage ist aus der falschen Richtung gestellt. Ich habe eine Geschichte geschrieben und in diese Zeit verlegt, weil ich fand, dass diese Zeit zu der Geschichte passt - und nicht umgekehrt. Sie passte, weil der Krieg meinen Figuren nur noch die Essenz ihres Wesens übriggelassen hat. Ich wollte zeigen, wie sich Leute in einer Extremsituation verhalten, Leute, deren Nerven bereits blank daliegen, bevor die Geschichte beginnt.

Sie sind Mutter eines eineinhalbjährigen Sohnes. Schauen Sie in der Gegenwart des Kindes stärker auf Ihre eigene Vergangenheit?

Erpenbeck: Ja, ich bekomme durch das Kind zum Teil meine eigene Kindheit zurück. Ich spiele jetzt ein zweites Mal mit meinen Bausteinen. Meine Generation ist ja eine der wenigen, die ihre Spielzeuge an die nächste Generation weitergeben kann. Früher kam dazwischen ein Krieg, und die Dinge waren verschwunden.