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Mesut Özil Mesut Özil: Der Schweiger mit den Kinderaugen

Von Jan Christian Müller 25.06.2010, 15:18

Johannesburg/MZ. - Einige Reporter aus England, die seit zwei Tagen verzweifelt versuchen, dass ein deutscher Fußballspieler mit ihnen englisch spricht, wundern sich, weil kein deutscher Fußballprofi mit ihnen englisch spricht. Aber dafür gibt es eine Erklärung: Der gestrenge Pressesprecher Harald Stenger erlaubt es nicht. Er will verhindern, dass ein falscher Satz gesagt wird, der vielleicht gar nicht so gemeint sein könnte. Oder noch schlimmer: dass ein Satz gesagt wird, der genauso gemeint ist, aber eigentlich gar nicht gesagt werden durfte.

Bei Mesut Özil, 21,ist die Gefahr gebannt. Der schüchterne Junge sagt auf englisch sowieso nichts undauch auf deutsch nur wenig. Außerdem wird er vom Verband geschützt. Özil brauchte noch kein einziges Mal seit der Ankunft in Südafrika vor fast drei Wochen die DFB-Pressekonferenz zu bestreiten. Dabei wäre das Interesse groß gewesen. Denn Özil gilt als der aufregendste Spieler im deutschen Kader, weil er symbolhaft steht für jung, multiethnisch und fußballerisch hochbegabt, für all das also, was die deutsche Nationalmannschaft ausmachen soll bei dieser WM.

Am Mittwoch gegen Ghana ist Özil eine ganze Halbzeit lang nach Ballverlusten wie teilnahmslos mit hängenden Schultern hinterher geschlappt und hat dabei aus großen Kinderaugen heraus so traurig guckt, als hätte er gerade sein Taschengeld verloren.Balleroberung ist seine Sache nicht. Aber aus einer Begebenheit auf dem Fußballplatz ein Ereignis zu machen, das kann das „Jahrhundertalent“ (Nachwuchstrainer Horst Hrubesch). Er ist zweifelsfrei als Türke erkennbar, hat als deutscher Nationalspieler mit Leichtigkeit den hiesigen Fußball revolutioniert und kann trotzdem auch humorlos mit Vollspann und „Ballack-Blick“ (Bild) ins Tor treffen.

Hinterher hat Mesut Özil dann doch der Weltpresse gegenüber sitzen müssen. Das war unvermeidlich. DieFifa hatte ihn zum „Man of the Match“ gekürt. So ein Spieler des Spiels ist gehalten, gleich nach dem Duschen zur Medienkonferenz zu kommen. Özil bekam zur Anerkennung eine Bongo-Trommel überreicht undmusste zwei, drei belanglose Fragen beantworten. Er trug seine schwarzen Kopfhörer um den Nacken, so wie er es immer tut, wenn er aus der Umkleidekabine zum Bus stapft und dabei so angestrengt auf den Fußboden schaut, dass man sich überwinden muss, ihn überhaupt anzusprechen. In der Pressekonferenz sah er folglich nicht glücklich aus, aber er hat es gut gemacht. „Ich bin erleichtert, dass ich das erste Tor beim Turnier gemacht habe“, hat er gesagt, „weil ich vorher in den Spielen so viele Chancen hatte, die ich nicht reingemacht habe.“ Das ist für seine Verhältnisse so etwas wie ein Referat. Zumal er dann gar noch erklärte, dass „das natürlich sehr schwer wird gegen England, wir wissen, dass sie sehr, sehr stark sind“.

Auch das Interesse anderer Klubs am Sohn von Mustafa und Gülizar Özil ist sehr, sehr stark. Sehr, sehr stark gestiegen noch dazu nach so einem prächtigen Tor und natürlich erst recht wegen seiner ansatzlosen Pässe im Schaufenster des Weltfußballs. Bei 30 Millionen Euro Ablöse könnte Werder Bremen schwach werden, hört man aus vertraulichen Kreisen. Lieber würde Werder mit Özil verlängern. Aber sein Vertrag läuft in einem Jahr aus, er kann dann ablösefrei gehen und ungeheuer viel Handgeld kassieren. Die Bremer sollen bereit sein, sein Gehalt bei einer Vertragsverlängerung mehr als zu verdoppeln. Auf fast vier Millionen Euro. Seit einem halben Jahr verhandeln Werder-Manager Klaus Allofs und Özil-Berater Reza Fazeli nun schon ergebnislos. Allofs ist jetzt erst mal in Urlaub gegangen. Es sieht so aus, als würde Özil noch ein Jahr in Bremen bleiben und dann gehen: nach Spanien oder England vermutlich, zusammen mit seiner Freundin Anna-Maria Lagerbloom, der Schwester von Popstar Sarah Connor, die jetzt Melek heißt, weil sie für den künftigen Gatten zum Islam konvertiert ist.

Für Freitag hatte der Deutsche Fußball-Bund ein Gespräch mit Özil organisiert, zum Schutz für den Spieler nur für wenige Reporter auf der Terrasse im hinteren, durch Sichtschutzblenden abgeschirmtenTeil der Hotelanlage. Ausdrücklich nur eine viertel Stunde lang. Aber kurz bevor es losgehen sollte, hat ein DFB-Mitarbeiter abgesagt. Es war ein trauriger Anlass: Özil hatte sich nach dem Tod seiner am Donnerstag im Norden der Türkei verstorbenen Großmutter Münewer zum Freitagsgebet in eineMoschee zurückgezogen.