Mehr als Motoren: Zehn Jahre Autostadt in Wolfsburg
Wolfsburg/dpa. - Sechs Besucher haben in der gläsernen Kabine Platz genommen und sich in ihren Sitzen fest angeschnallt. Dann schließt sich leise surrend die Tür. Ein Ruck, die Kabine hebt ab und schwebt in rasanter Turmfahrt 48 Meter in die Höhe.
Ort der surrealen Szenerie ist eines der beiden 20-stöckigen vollautomatischen Hochregallager in der Autostadt Wolfsburg. Wie Spielzeugautos stehen die fabrikneuen Autos in ihren Boxen - kein Mensch zeigt sich weit und breit.
«Jeweils 400 Fahrzeuge werden in den beiden imposanten Türmen aus Glas und Stahl für maximal 24 Stunden zwischengelagert und warten darauf, von ihren künftigen Eigentümern abgeholt zu werden», erklärt der Besucherführer. «Mit Hilfe einer ausgeklügelten Logistik werden die verschiedenen Modelle vollautomatisch aus dem Regal gezogen und schweben in Sekundenschnelle nach unten.» Dort rollen sie über einen Tunnel ins benachbarte Kundenzentrum zur Auslieferung.
Doch nicht alle Besucher der Autostadt kommen, um ihr neues Fahrzeug entgegenzunehmen. Sean zum Beispiel ist eigens aus Frankfurt angereist, um sich Wolfsburg und seine Autostadt anzusehen. Vom Turm bekommt er einen guten Überblick - wenn das Wetter gut ist, zeigt sich am Horizont sogar der Harzer Brocken. Die Innenstadt ist überschaubar. «Viele der Wolfsburger Attraktionen liegen entlang der Koller-Achse», erklärt der Guide. Sie misst gerade einmal 2,5 Kilometer Luftlinie und wurde maßgeblich vom Stadtplaner Peter Koller geprägt, der für den Wiederaufbau der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg zuständig war.
Die Achse führt vom Klieversberg im Süden über die Porschestraße mit dem Kunstmuseum und dem Alvar-Aalto-Kulturzentrum zum Science Center. Und dann weiter über den Erlebnis- und Themenpark Autostadt bis hin zum Schloss Wolfsburg, dem einzig historischen Ort der Stadt, wenn man von den Ortsteilen Vorsfelde und Fallersleben einmal absieht. Wolfsburg wurde erst 1938 als «KDF-Stadt bei Fallersleben» gegründet. Mit Kriegsbeginn war es dann «Mit Kraft durch Freude» aber schon wieder vorbei.
«Die eigentliche Entwicklung begann am 25. Mai 1945, als Wolfsburg mit dem Namen des Schlosses Wolfsburg belegt wurde und die Barackenstadt einen Neuanfang wagte», sagt Oberbürgermeister Rolf Schnellecke. «Die Entscheidung der britischen Besatzer, das Volkswagen-Werk nicht zu demontieren, war der Beginn des Siegeszuges des Käfer und damit auch für das Wachstum der Stadt», erzählt das Stadtoberhaupt. Auch die Wiedervereinigung sei ein herausragendes Ereignis gewesen, das Wolfsburg aus seiner Grenzlage herausgeführt und wieder ins Zentrum Deutschlands und Europas geführt habe.
Die Idee zur Autostadt entstand 1994, als die Volkswagen AG ihren Stammsitz aufwerten, das Werk für Kunden und Öffentlichkeit öffnen und die Autoabholung «emotionalisieren» wollte. Zeitgleich mit der Eröffnung der EXPO 2000 in Hannover begrüßte die auf einer ehemaligen Industriebrache jenseits des Mittellandkanals errichtete Autostadt ihre ersten Besucher. Seit dem 1. Juni 2000 kamen fast 20 Millionen Besucher, eine Zahl, die die kühnsten Erwartungen übertraf.
«Die Autostadt ist ein kommunikativer Ort für den Konzern und seine Marken, um sich zu präsentieren und mit den Kunden in direkten Dialog zu treten», erläutert Autostadt-Geschäftsführer Otto Ferdinand Wachs. «Menschen, Autos und was sie bewegt» - dieses Motto zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung, die Wachs zufolge international als Prototyp der automobilen Erlebniswelten gilt.
Auf dem Autostadt-Areal beheimatet ist mit «The Ritz-Carlton» auch ein Luxus-Hotel, in dem Sven Elverfeld, Norddeutschlands einziger Drei-Sterne-Koch, als Küchenchef arbeitet. Über eine Fußgängerbrücke über den Mittellandkanal ist die Autostadt in wenigen Minuten vom Zentrum von Wolfsburg und vom ICE-Bahnhof aus zu erreichen. 19 Meter hohe Pforten öffnen sich zur Piazza. Blickfang der Halle ist ein Riesenglobus, der über den Köpfen der Besucher schwebt. Das Kunstwerk ist aus silbernen Aluminiumstäben gefertigt - die Kugel mit 13 Metern Durchmesser ist eine um 23,5 Grad geneigte, im Maßstab eins zu einer Million verkleinerte Nachbildung der Erde. «Sie soll die weltumspannende Vernetzung des Autokonzerns symbolisieren», erzählt Berit Sutorius, die Besuchergruppen durch die Autostadt führt.
Ein Höhepunkt und Publikumsmagnet ist das ZeitHaus. Ausgestellt sind klassische Fahrzeuge als «Meilensteine der Automobilität». Markenübergreifend wird die mehr als 120jährige Geschichte des Automobils inszeniert. Oldtimer aus aller Welt sind zu sehen, angefangen vom ersten Auto von Karl Benz aus dem Jahre 1886 über die blank polierten Legenden von Ford Tin Lizzy und Borgwards Isabella bis zum mit Strass-Steinen geschmückten Jubiläums-Käfer und den ersten Modellen der Generation Golf.
Sehenswert sind auch die Pavillons, in denen die unterschiedlichen Marken des Konzerns präsentiert werden. Die im Juni 2009 neu eröffnete Dauerausstellung «Level Green - Die Idee der Nachhaltigkeit» greift mit 25 Exponaten die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit - Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft - multimedial auf. Sie zeigt nicht nur Ursachen und Folgen des Klimawandels oder Mobilitätskonzepte der Zukunft, sondern macht auch auf Potenziale für nachhaltiges Handeln aufmerksam, die jeder im alltäglichen Leben nutzen kann.
Webauftritt der Autostadt: www.autostadt.de
Informationen der Stadt Wolfsburg: www.wolfsburg.de
- Die Autostadt ist ganzjährig von 9.00 bis 18.00 Uhr geöffnet.
- Der Tages-Eintritt beträgt für Erwachsene 15, für Kinder 6 und für Familien 38 Euro.
Weitere Informationen unter der Telefonnummer (kostenfrei): 0800/288 67 82 38