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Marktschreiertage Marktschreiertage: Archaische Rituale oder Publikumsbeschimpfung

Von René Langner 12.07.2002, 19:14

Halle. - Seit dieser Woche ist es wieder soweit: Wurst-Rudi, Käse-Achim und Roberto aus ?Italien? verschönern den halleschen Marktplatz mit ihren Verkaufswagen. Wer über den Markt muss, wird sich kaum dem persönlichen Charme dieser scheinbaren Überreste aus alten Rummeltagen entziehen können. Wie auch, denn ein ohrenbetäubendes Geschrei geht von ihnen aus.

Besonders Wurst-Rudi scheint es darauf angelegt zu haben, den gesamten Markt mit seiner doch schon recht angegriffenen Stimme erfreuen zu wollen. Aber eine Freude ist es wirklich nicht. Mit sehr rüden und platten Witzeleien und Beschimpfungen versucht er seine Wurst an Mann und Frau zu bringen. Das Publikum, dass sich dieses Spektakel gefallen lässt, ist im Durchschnitt 45 bis 70 Jahre alt. Ist es eine Art Masochismus oder nur die reine Lust am Zuschauen, wenn wieder jemand von der Wurstkanzel herunter zusammengestaucht wird? Mir jedenfalls ist dies gänzlich unbegreiflich: Die Deutschen, die ja im allgemeinen darüber klagen, dass Verkäufer zu unfreundlich sind, stellen sich freiwillig vor einen Wagen und lassen sich beschimpfen.

Man stelle sich dieses Szenarium bei Aldi oder Penny vor. Während man durch die Reihen geht, wird man von allen Ecken angeschrieen doch nicht nur zu glotzen, sondern gefälligst was zu kaufen. Und statt sich zu beschweren, bleibt man stehen und freut sich. Irgendwie scheint es doch eine Art von Theater-Performance zu sein, á la Peter Handkes ?Publikumsbeschimpfungen?.

Halle ist nun mal eine Kultur- und Theaterstadt. Mit unzähligen und auch unsäglichen Höhepunkten. So scheint Halle dieses Jahr, als das Jahr des Festes ausgerufen zu haben. Jedes Wochenende muss etwas los sein, egal wie das Niveau ist. Und so reichen die Festivitäten auch von den Händelfestspielen bis zu diesen Marktschreiertagen. Und ich weiß gar nicht, was mir nun lieber ist. Mein Fazit oder mein Tip an alle, die über den Markt müssen - und ich meine müssen - , halten Sie sich die Ohren und gegebenenfalls die Augen zu. Und dann durch.