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Malerei und Skulptur von Baselitz in Baden-Baden

29.11.2009, 09:48

Baden-Baden/dpa. - In zerrissenen Kleidern kommt er barfuß, sichtlich lädiert, über verbrannte Erde nach Hause. Ein strahlender Held sieht anders aus.

Der einsame Kriegsheimkehrer ist auf einem der «Heldenbilder» von Georg Baselitz zu sehen. Sie sind Teil einer großen Retrospektive in Baden-Baden. Bis zum 14. März werden im Museum Frieder Burda und in der benachbarten Staatlichen Kunsthalle rund 140 Kunstwerke eines der bedeutendsten Gegenwartskünstler präsentiert - darunter rund 80 Gemälde, mehr als 40 Zeichnungen sowie Skulpturen von den Anfängen bis heute.

Auf dem Kopf stehende Akte, mit der Kettensäge bearbeitete Skulpturen, zerteilte Menschenbilder und der letzte Rest vom männlichen Heldentum aus dem offenen Hosenschlitz zur Schau gestellt - der eher verschlossen-schüchtern wirkende Baselitz hat eine Vorliebe für Brachiales und Provokation. Dem Betrachter gibt Kurator Götz Adriani sicherheitshalber eine Gebrauchsanweisung mit auf den Weg: Er muss sich zunächst beeindrucken lassen, darf vielleicht auch Abscheu empfinden. «Aber er muss das Gespür haben, dass ihn etwas bewegt.» Ein Bild, das keine Emotionen hervorruft, hat für den Kunstexperten keine Qualität.

Und Emotionen hat das Werk des heute 71-jährigen aus der Nähe von Dresden stammenden Baselitz im Laufe der Jahrzehnte immer wieder hervorgerufen. In Baden-Baden ist nun die Vielschichtigkeit des Einzelgängers zu bestaunen, der als junger Kunststudent 1957 der DDR den Rücken kehrte und zu einem der international pointiertesten Künstler avancierte, mit Schauen unter anderem im New Yorker Guggenheim Museum und der Royal Academy of Arts in London.

Präsentiert werden in der Kurstadt neben einer einmaligen Fülle von abgewrackten Helden ganz frühe Werke wie das Aquarell eines onanierenden Jungen; das Motiv hatte Anfang der 1960er Jahre für einen Skandal und staatsanwaltliche Ermittlungen gesorgt. Die Schau zeigt, wie der Einzelgänger entgegen dem abstrakten Trend an der Gegenständlichkeit festhielt, den durch Nazi-Kunst und Ost-Malerei verpönten Realismus aber umging.

So lösen sich 1966 selbst Helden auf; Baselitz, der Nazis, Zweiten Weltkrieg, DDR und Wirtschaftswunder-BRD erlebt hat, zerteilt in seinen sogenannten Frakturbildern Motive und komponiert sie neu zu einer ganz persönlichen Art von Kubismus. Ende der 1960er Jahre steht die Welt Kopf: Die Idee, Akte, Stillleben oder Landschaften «verkehrt» herum darzustellen, bringt den internationalen Durchbruch. «Ich wollte etwas machen, das das Bildsystem aushebelt», sagt der Künstler. In Baden-Baden sind so riesige kopfüber hängende Akte, Tulpen, Adler oder expressive Diptychons zu sehen. Dunkle und kräftige Farben dominieren. In neueren Bildern überraschen aber ein aquarellartig leichter Farbauftrag oder freundliche rosige Gesichter in Bildern wie «Wir daheim».

In seiner 2005 begonnenen Werkgruppe «Remix» greift Baselitz schließlich ältere Werke auf und interpretiert sie neu, etwa im schonungslosen, zugleich anrührenden Selbstporträt mit seiner Frau als altem Paar («Schlafzimmer»/2009).

Während das private Museum Frieder Burda ein halbes Jahrhundert Baselitz'sche Malerei vorstellt, zeigt die über eine gläserne Brücke verbundene Staatliche Kunsthalle einen Querschnitt aus «30 Jahren Skulptur» - von der ersten Arbeit «Modell für eine Skulptur» (1979) bis zu der neuesten Skulptur «Volk Ding Zero» (2009). Erstere löste 1980 bei der Biennale in Venedig Empörung aus, weil Betrachter an der Figur Hitler-Bärtchen und -Gruß sahen; letztere, die erstmals vorgestellt wird, kommt dagegen eher als nachdenkliches Alterswerk daher. Skulpturen sind für Baselitz ein kürzerer Weg als die Malerei, um das gleiche auszudrücken - «weil Skulptur primitiver, brutaler und vorbehaltloser ist».

Und so bearbeitet Bildhauer Baselitz Zedern- oder Ahornholz brachial mit Kettensäge, Beil und Stecheisen. Auf Kunsthallenchefin Karola Kraus wirken die «entgegen aller handwerklich künstlerischen Eleganz gesägten, geschnitzten und gestochenen Skulpturen oft wie "Figuren voller Wunden"». Dass sich der Künstler immer wieder ein Augenzwinkern erlaubt, zeigen die riesigen Skulpturen «Meine neue Mütze» und «Frau Ultramarin» aus den Jahren 2003 und 2004. Kraus ist nicht nur stolz, dass Baselitz 40 Jahre nach seiner ersten großen Schau in der Kunsthalle hierher zurückkehrt - sondern auch, dass sie in ihrem Katalog das erste Werkverzeichnis seiner Skulpturen präsentieren kann.