Malaysia: Milch und Metallhaken für Lord Murugan
Georgetown/dpa. - Die Jeep-Scheinwerfer erfassen im Nebel der Nacht Granitsteine mit eingemeißelten, verwitterten Inschriften. Die Gräber stehen halb versunken im hügeligem Grasland zu Füßen des Mount Erskine - es sind Tausende.
Endlich biegt der Geländewagen von der Straße ab und erklimmt eine steile Straße. In der Jalan Air Terjun - der «Wasserfallstraße», einer indische Enklave im Westen von Georgetown auf der malysischen Insel Penang - schläft in dieser Nacht keiner. Das Hindu-Bußfest Thaipusam beginnt, das größte Fest des Jahres.
Drei Tage lang wird Thaipusam gefeiert, im zehnten Monat des hinduistischen Kalenders, dem Thai, wenn der Stern Pusam aufgeht. Das ist immer Ende Januar oder Anfang Februar der Fall. Berühmt sind die Feste in Singapur, Indien und Mauritius. In Malaysia wird das Bußfest außer auf Penang noch in Kuala Lumpur begangen.
Zentrale Figur ist Murugan, auch als Subramanya bekannt. Er ist ein Sohn der Göttin Shiva und gilt als Kriegsgott, sein wichtigstes Emblem ist ein dreizackiger Speer. Wer ihn trägt, gilt im Hinduismus als Kämpfer gegen Egoismus, Geiz und Lüsternheit. Daher lassen sich die Opfergänger kleine Spieße durch Zunge, Wangen und Stirn treiben. Auch metallene Opferschalen hängen sie in ihre Haut.
Es ist 2.00 Uhr, in der Jalan Air Terjun geht in einem kleinen Tempel ein Priester ans Werk: Er steckt Räucherstäbchen in geopferte Bananen, zündet Kerzen an und ordnet die Blüten auf dem Altar. Dann stellt er einen Korb mit Blechschälchen auf, die an kleine Kuhglocken erinnern. Aus seinem Kofferradio tönt laute Tommelmusik. Der Vorraum füllt sich mit Männern, den Verwandten und Freunden der Bußgänger.
Angeblich sollen die Männer in Trance sein, wenn sie sich auf das Schmücken für ihren Opfergang vorbereiten. Der 20-jährige Ganesh macht aber nicht diesen Eindruck. Er schwitzt, blickt konzentriert und antwortet leise auf Fragen. Freunde reiben seinen Rücken mit Reispulver ein, das desinfizierend wirkt. Dann wird das erste Häckchen gesetzt. Devis zuckt nicht, wirkt aber zunehmend verspannt. Die Umstehenden fallen in Sprechgesänge und bewegen sich im Takt.
Auf der Straße mehren sich die Neugierigen. Auch Touristen aus dem Westen sind zu sehen. Malaysias Fremdenverkehrsamt wirbt für das Thaipusam-Festivals, noch stören die wenigen Besucher auch nicht. Aber ein wenig seltsam wirken die Europäer schon, wie verirrt im flackernden Kerzenschein inmitten der Trachten tragenden Inder. Und für zartbesaitete Seelen ist der Anblick nichts: «Oh my God», seufzt eine Engländerin und wendet sich ab, als Ganesh langsam ein Spieß durch Wangen und Zunge gebohrt wird. Andere starren fasziniert.
Der körperliche Schmerz der Männer wird angeblich durch die Kraft des Geistes besiegt. Aber nicht jeder nimmt die Prozedur so gelassen hin wie Ganesh, dessen recht ordentliche Speckschicht ein wenig vor dem Schmerz zu schützen scheint. Der junge Mann dagegen, der als zweiter vom Priester behängt wird, muss eine Pause einlegen. Er ist zierlich, die Widerhaken stechen direkt in sein Fleisch. Zitternd sinkt er bei der Hälfte der Prozedur in die Knie. Seine Freunde setzen ihn vorsichtig auf ein Höckerchen.
Im Morgengrauen sind insgesamt vier junge Männer für den Bußgang vorbereitet. Ihre Freunde umringen sie tanzend und singend. Zusammen machen sie sich auf dem Weg zum Tempel. Was genau sie zu dem Bußgang treibt, verraten sie nicht. «Aber einen Wunsch haben sie alle», sagt Ravi, der Taxifahrer. Wünschen dürfen sie sich alles: Hilfe für ein krankes Familienmitglied, eine Freundin oder ein neues Motorrad. Viele wollen aber auch nur Buße tun.
Am Tempel sind tausende weiterer Hindus versammelt. In endloser Reihe klettern sie die steilen Stufen zum Gebäude auf dem heiligen Berg empor. Frauen und Männer tragen Kännchen mit Milch, Tierblut und Orangensaft auf dem Kopf. Einige schleppen schwer an bis zu 60 Kilogramm schweren Palanquins, hölzernen Traggestellen, behängt mit Opfergaben. Oben angekommen, entleeren sie ihre Kännchen über einer Statue des Gottes Murugan und kehren ins Tal zurück.
Um 7.00 Uhr weicht das Mystische langsam von dem Ort. Auf der Straße liegen Stücke von Kokosnussschalen, die ebenfalls Opfergaben sind, sowie Blütenblätter. Die Luft riecht nach Räucherstäbchen und vergorener Milch. Auf einer Wiese bereiten Familien ein Picknick vor. Händler bauen ihre Stände auf. Die Engländerin sitzt auf einem Schemel. Sie ist immer noch blass. Taxifahrer Ravi sammelt seine Gruppe zusammen. «Und immer schön bei mir bleiben auf dem Weg zu Wagen», sagt er. Denn Murugan ist auch der Schutzgott der Diebe.
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