Leitkommentar zur Großen Koalition Leitkommentar zur Großen Koalition: Kleinkunst

In den kommenden zwei Wochen müssen und wollen Union und SPD den Sack zumachen, wenn es mit der nächsten Großen Koalition etwas werden soll. Die Gespräche, aus denen bislang so wenig herausdrang, versprechen nach dem SPD-Parteitag lebhafter, lautstärker und härter zu werden. Das weckt Erwartungen.
Aber worüber reden die Möchtegern-Großkoalitionäre eigentlich und, fast wichtiger noch, was blenden sie aus? In der Öffentlichkeit spielen die Pkw-Maut, die Mütterrente, der Mindestlohn, die Frauenquote und die doppelte Staatsbürgerschaft die Hauptrolle. All das sind Themen, über die sich heroisch streiten lässt, ohne dass sich daran die Zukunft des Landes entscheiden würde.
Einzige Ausnahme könnte die doppelte Staatsbürgerschaft sein, die für die Integration der zahlreichen Migranten der zweiten und dritten Generation wirklich wichtig ist. Wenn in den großen Städten des Landes immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund eingeschult werden, muss diese Frage vielleicht anders als bisher beantwortet werden. Zudem, wer angesichts niedriger Geburtenraten und sich abzeichnendem Fachkräftemangel über mehr Einwanderung nachdenkt, sollte ein solches Angebot im Programm haben.
Umso dröhnender ist das Schweigen zu anderen Themen, die schon jetzt unsere Wirklichkeit bestimmen: Kein Wort fällt öffentlich über die Regeln des Arbeitsmarktes in einer zunehmend digitalisierten Welt. Noch auffallender ist die Sprachlosigkeit, wenn es um die Rettung des Projekts Europa gehört, nicht nur des Euro. Und was haben die Verhandler von Union und SPD zur Generationengerechtigkeit und den Folgen des demographischen Wandels zu sagen? Die Rentenpläne, über die man sich wohl schon verständigt hat, nützen höchstens den rentennahen Jahrgängen, bürden den Jüngeren aber weitere Lasten auf.
Alles Fragen, die vor allem die Zukunft der Generation unter 40 heftig beeinflussen dürften. Warum zwingen die Jugendorganisationen von Union und SPD ihre Altvorderen nicht, dazu Stellung zu beziehen? Stattdessen arbeitet sich die Junge Union in Erfurt - ganz wie die Großen - am Mindestlohn von 8.50 Euro und der Reform des Staatsbügerschaftsrechts ab.
Die großkoalitionären Verhandlungen finden auf der Kleinkunstbühne statt: Intim, unterhaltsam und ohne wirklich weh zu tun. Aber das wird nicht langen, um Deutschland für das nächste Jahrzehnt fit zu machen. Eingelullt von der guten wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahre wird der Eindruck erweckt, es gehe nur darum, die eine oder andere Härte auszubügeln. Die Sozialdemokraten vermeiden jetzt wie Angela Merkel (CDU) vor der Wahl alles, was zu ernsthaften und zwangläufig unbequemen Zukunftsdebatten führen könnte.
Das ist nicht gut. Denn in ganz Europa blickt man auf Deutschland. Nicht nur mit Sorge vor deutscher Dominanz, sondern voller Erwartungen. Bislang sieht es aber leider nicht danach aus, als würde eine Große Koalition ihren wahren Aufgaben gerecht. Seite 5
Die Autorin erreichen Sie unter: [email protected]