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Leitkommentar zum Gedenktag 17. Juni Leitkommentar zum Gedenktag 17. Juni: Mehr als eine Fußnote

16.06.2013, 18:23
Andreas Montag
Andreas Montag MZ Lizenz

Der 17. Juni hatte es schon einmal zur Ehre eines Feiertages gebracht. Das war in der alten Bundesrepublik, deren politische Eliten damit das Festhalten an der deutschen Einheit in Zeiten der Teilung demonstrieren wollten. Das war ehrenwert, hat in der Ritualisierung des Gedenkens aber mit den Jahren rapide an Bedeutung verloren. Zumal die getrennte Entwicklung der beiden deutschen Staaten auch im Westen immer stärker als Normalfall wahrgenommen wurde.

Eine Entwicklung, die zumal jenen, die beim Volksaufstand des Jahres 1953 in der DDR Kopf und Kragen riskiert hatten, bitter aufstieß. Viele der Aktivisten waren ins Zuchthaus gesperrt worden, andere hatten noch rechtzeitig die Flucht in den Westen geschafft. Ihnen allen muss es wie Hohn vorgekommen sein, wenn einmal im Jahr die Erinnerung wie eine Reliquie hervorgeholt und mit goldenen Worten bekränzt wurde.

Unterdessen schwand das Ereignis selber allmählich aus dem Bewusstsein zumal der jüngeren Generation, auch im Osten. Und dabei ist es geblieben, der Trend setzt sich fort, wie eben vom ZDF veröffentlichte Umfrageergebnisse der Forschungsgruppe Wahlen belegen. Nur jeder zehnte Deutsche unter Dreißig weiß, was am 17. Juni 1953 eigentlich passiert ist.

Nun kann man geflissentlich das gern verwendete Argument herbeiziehen, es habe sich ja so viel Dramatisches in der jüngeren Vergangenheit zugetragen, die Menschen stünden zudem unter enormem Druck, den die politische Gegenwart erzeuge. Zudem sei ja das Vermächtnis des 17. Juni im Herbst 1989 erfüllt worden, als das Volk der DDR der SED und ihren Gliedrungen die Gefolgschaft kündigte. Damit sei das frühere Ereignis aufgegangen in der Geschichte und nur noch von musealem Wert.

Tatsächlich aber lassen sich am 17. Juni 1953 durchaus Ansätze finden, die den Tag zu mehr als einer wichtigen historischen Fußnote qualifizieren. Das Datum hat nicht nur das Zeug dazu, Stolz auf den Mut der seinerzeit Handelnden zu wecken. Man könnte sich zugleich daran erinnern, dass Mut oftmals eben nicht zu den ersten Tugenden der Deutschen gezählt hatte. 1953 lagen das Ende des Zweiten Weltkrieges und der NS-Diktatur keine zehn Jahre zurück. Für viele Deutsche, in West wie Ost, war noch vom „Zusammenbruch“ die Rede.

Und hinter dieser Haltung, die von Problemen bei der eigenen Daseinsfürsorge begleitet worden ist, überwucherte das Unkraut des Vergessens die Scham: Keiner hatte etwas gesehen, niemand etwas gewusst. Und mitgemacht schon gar nicht.

Was wäre falsch daran, den 17. Juni auch in diesem Licht zu betrachten und in einen Kontext politischer wie menschlicher Verwerfungen zu stellen? Man könnte dabei zu dem Schluss kommen, dass die Deutschen, zumal im 20. Jahrhundert, zu vielerlei Leistungen fähig waren - im Bösen wie im Guten. Und man könnte wahrhaftig neugierig werden darauf zu erfahren, wo die Bruchlinien zwischen Beidem verlaufen. Dabei kann der 17. Juni als Tag lebendigen Erinnerns noch sehr nützlich sein.

Den Autor erreichen Sie unter: [email protected]