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Leichte Muse Leichte Muse: Berliner Amüsierbetriebe

19.11.2001, 15:26
Publikumsmagnet Friedrichstadtpalast
Publikumsmagnet Friedrichstadtpalast Herbert Schulze

Berlin/gms. - Zwei Paläste hat die DDR der Nachwelt hinterlassen,doch ihr Schicksal könnte nicht unterschiedlicher sein. Während der Asbest verseuchte Palast der Republik unzugänglich dahinsiecht und sein endgültiges Todesurteil erwartet, hat sich ein anderer Prestige-Bau des Regimes zu einem der größten Publikumsmagneten im vereinten Berlin gemausert: der Friedrichstadtpalast an der Friedrichstraße. Mehr als 600 000 Besucher werden in diesem Jahr eineVorstellung im größten Revue-Theater Europas besucht haben.

Mag Berlin auch berühmt sein für seine Schauspiel- undOpernhäuser, seine Sinfonieorchester und Museen - die Masse der Touristen hält es mit der leichten Muse. «Die drei meistbesuchten kulturellen Attraktionen sind der Friedrichstadtpalast, das Musicaltheater am Potsdamer Platz und das Varieté Wintergarten», sagt Heinz Buri von der Berlin Tourismus Marketing GmbH.

Den größten Umsatz erwirtschaftet dabei dank der hohenEintrittspreise zwischen 49 und 199 Mark das Stella-Musical «Der Glöckner von Notre Dame». Rund 1,1 Millionen Besucher haben seit der Premiere am 5. Juni 1999 die Bühnen-Adaption des Disney-Zeichentrickfilmes im neuen Theater am Potsdamer Platz gesehen.

Vom 12. November an wird die Logistik des Hauses auf eine harte Probe gestellt: Dann soll zusätzlich zu den acht Glöckner-Vorstellungen drei bis vier Mal pro Woche das neue Familien-Musical «Emil und die Detektive» gegeben werden. Damit bekommt der aus Paris mit Umweg über die USA zugewanderte Glöckner ein Ur-Berliner Pendant an die Seite gestellt. Traditionspflege ist ansonsten aber eher die Domäne von Friedrichstadtpalast und Wintergarten: Sie beschwören die goldenen Zwanzigerjahre, in denen Berlin weltweites Renommée als Metropole des mondänen Müßiggangs besaß.

Die Amüsierbetriebe der Gegenwart verteilen sich noch eher lückenhaft auf das Stadtgebiet, die Bandbreite des Gebotenen ist aber schon wieder recht beachtlich. Wer sein intellektuelles Niveau etwa bei allem Bedürfnis nach Zerstreuung nicht allzu sehr unterschreitenmöchte, sollte sich in die «Bar jeder Vernunft» in Wilmersdorf oder ins Chämeleon Varieté in den Hackeschen Höfen flüchten. Beide Kleinkunstbühnen gelten in der Kulturszene der Hauptstadt als voll satisfaktionsfähig. Regelmäßig mischen sich bekannte Schauspieler insPublikum.

Während die Gastspiele der Chansoniers, Kabarettisten, Komödianten und Artisten dort in rascher Folge wechseln, steht im Friedrichstadtpalast seit mehr als einem Jahr das gleiche Stück auf dem Programm: die «Revue Berlin», ein musikalischer und tänzerischerBilderbogen aus 100 Jahren Stadtgeschichte. Bei einer Auslastung von mehr als 90 Prozent kann sich das Haus solche Monokultur leisten, die nur Ende des Jahres durch eine Weihnachtsrevue und ein Marlene-Dietrich-Programm aufgelockert wird.

Ebenso märchenhaft wie dieser Erfolg wirkt der 1984 vollendete Friedrichstadtpalast selbst: Die byzantinisch anmutenden Ornamente an der Fassade regten die spottlustigen Berliner zu einem treffendenVergleich an: «Bahnhof von Aserbeidschan». Dieser Spitzname kam der Wahrheit näher, als die meisten ahnten. Tatsächlich hatten die Bauherren den nicht zur Ausführung gekommenen Entwurf eines DDR-Architekten für den Kulturpalast von Bagdad aus der Schublade gezogen.

Die technische Ausstattung des Palastes kann sich dagegen sehen lassen. Die 60 Meter tiefe Bühne ist die größte Europas, sogar ein Wasserbassin oder wahlweise eine Eisfläche haben darauf Platz. Die rund 1900 Sitze sind wie in einem Amphitheater angeordnet und bietengute Sicht quer durch die Preisklassen. Nach der Wende wurde der rote Bezugstoff der Sitze durch einen blauen ersetzt und Geld in eine Laseranlage investiert, deren geballter Einsatz manche Besucher umihr Augenlicht fürchten lässt. Ein anderer optischer Reiz ist die Parade von 32 langbeinigen Revuegirls - die größte ihrer Art in der Welt, wie man beim Friedrichstadtpalast versichert.