Leichtathletik/Medien Leichtathletik/Medien: Der Fall «Dieter Baumann» als Film
Stuttgart/dpa. - Der Fall Dieter Baumann, der wie kaum einanderer im letzten Jahrzehnt den deutschen Sport beschäftigt hat,wird wieder aufgerollt - als Spielfilm im Fernsehen. Die ARD strahltdie «Zahnpasta-Affäre» unter dem Titel «Ich will laufen! Der FallDieter Baumann» am 4. August (20.15 Uhr) aus. Auch Regisseur DiethardKlante hat wie erwartet nicht herausfinden können, ob derLangstreckenläufer nun gedopt hat oder Opfer einer Verschwörunggeworden ist. Der Olympiasieger über 5000 m von 1992 kommt gut weg indem eineinhalbstündigen Streifen. «Ich will nicht verleugnen, dassmeine Sympathie bei Dieter Baumann lag und liegt», räumte Klante ein.
Baumann hat den Film bereits gesehen, «aber nur mit großerÜberwindung. Er hat mich sehr mitgenommen - als wenn ich alles nocheinmal erleben würde». Gespielt wird der 39-jährige Tübinger vomgleichaltrigen Hans-Werner Meyer, der sich «mit dem echten DieterBaumann intensiv beschäftigt» hat. Die beiden waren sogar zusammenlaufen. Als Vorlage für das TV-Drama diente Baumanns Buch«Lebenslauf», der Hauptdarsteller hat sich zudem zahlreiche Videosvon Wettkämpfen Baumanns angeschaut.
Nicht nur die Jubelposen des deutschen Rekordhalters imitiert derSchauspieler perfekt: Wie Meyer überzeugt auch Thomas Thieme alsHelmut Digel. Der frühere Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und heutige Vizepräsident des Weltverbandes IAAFspielt eine zentrale Rolle in dem Film - ebenso wie Isabelle Baumann.
Die Ehefrau und Trainerin des Sportstars wird von Sophie Rois,Österreicherin wie Isabelle Baumann, glänzend dargestellt: ehrgeizig,herb mitunter, aufgerieben am Ende durch den Kampf ihres Mannes umGlaubwürdigkeit und die Sorge um die zwei Kinder. «Ich hör' auf»,sagt sie eines Tages. «Aber ich bin unschuldig», sagt er. Baumann hatinzwischen eingeräumt, dass seine Ehe unter den juristischenAuseinandersetzungen gelitten hatte.
Regisseur Klante führte insgesamt über hundert Stunden Interviews,um Einzelheiten zu erfahren: mit dem Ehepaar Baumann, mit Digel, mitdem heutigen Verbandspräsidenten Clemens Prokop, mit demwissenschaftlichen Gutachter Fritz Sörgel, mit FAZ-Redakteur Hans-Joachim Waldbröl sowie mit Stephane Franke. Der frühere 10 000-m-Läufer wurde zeitweise ebenso wie DLV-Cheftrainer Bernd Schubertverdächtigt, Baumanns Zahnpasta mit Dopingmittel versetzt zu haben.Dafür gibt es bis heute keine Beweise, und deswegen wird Klante denbeiden nicht gerecht, wenn er sie als naive und unsympathischeZeitgenossen zeigt.
Um den Fall Baumann in all seiner Komplexität zu verfilmen, hättees wohl eines Zehnteilers bedurft. Aber auch in der Kürze derSendezeit hätte der Regisseur zum Beispiel erwähnen können, dassBaumann auch vor ordentlichen Gerichten gescheitert ist. Mitunterverschwimmt die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation - zumBeispiel wenn an Originalschauplätzen gedreht wird und ZDF-ReporterWolf-Dieter Poschmann sich selbst spielt. Wissenschaftler Sörgel hältdas Werk für «eine Vernarrung der Öffentlichkeit» und befürchtet gar:«Was unwidersprochen bleibt, kann zu Nachahmern führen.»
So behält Dieter Baumann alias Hans-Werner Meyer bis zur letztenSequenz die Opferrolle. Ebenso wie sein väterlicher Freund Digel, derin dem Film von Prokop aus seinem Amt getrieben wird und sich auchvon seiner Frau Sabine nicht belehren lassen will. Sie hat nämlichgrößere Zweifel an Baumanns Unschuld und philosophiert über dessenVerhalten: «Manchmal ist die Wahrheit so unerträglich, dass man sieverdrängen muss, um weiterzuleben.»
Digel ist «nicht begeistert» davon, dass er zur Prime Time alsFilmfigur dienen darf. Das wird kaum einer von den Beteiligten sein,denn dazu hat der Fall zu tiefe Wunden gerissen. «Ich brauche keineneue Diskussion», sagt selbst Baumann vor der Premiere der SWR-Produktion. «Die Leute sollen einfach den Film als Film anschauen. Das genügt.»