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Leichtathletik Leichtathletik: DLV im Krisenmanagement

Von Ulrike John und Andreas Schirmer 17.02.2009, 16:46

Frankfurt/Main/dpa. - Die schwierige Werbung für dieWeltmeisterschaften in Berlin, die Aufarbeitung des Olympia-Debakelsvon Peking, die fehlenden Stars, der Prozess um den dopingbelastetenTrainer Werner Goldmann oder die sinkende Attraktivität der Sportart:Für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) tun sich derzeit soviele «Baustellen» auf, dass seine Hallen-Titelkämpfe am Wochenendein Leipzig zur Nebensache geraten. Verbandspräsident Clemens Prokop,hauptberuflich Chef des Amtsgerichts im bayrischen Kelheim, ist inseinem achten Amtsjahr gefordert wie nie zuvor.

Sein Vorgänger Helmut Digel, Council-Mitglied im Weltverband IAAF,hatte in der vergangenen Woche seinem Unmut über die weltweiteEntwicklung der Leichtathletik Luft gemacht («Sie scheint sich ineinem Prozess der Selbstauflösung zu befinden»). Zur Lage derolympischen Kernsportart in Deutschland will der ansonsten sokritikfreudige Sportwissenschaftler nichts sagen.

Gibt es bei der Heim-WM im August ein letztes Halali, bevor dieSprinter, Läufer, Springer und Werfer vollends in der Versenkungverschwinden? «Berlin ist nicht das Ende der Leichtathletik. Es sollein Auftakt werden. Die sechs Jahre nach der WM 1993 in Stuttgartwaren goldene Jahre, was das Sponsoring betrifft, was Networkingbetrifft», sagt Stabhochspringer Tim Lobinger und gibt zu bedenken:«Das sehe ich im Moment nicht aufgrund der Finanzkrise und derVerbandsstruktur.»

Angesichts der mitunter miserablen Präsentation der Sportart unddes unübersichtlichen Wettkampfkalenders stellt das Fachorgan«Leichtathletik» mitten in der Hallensaison ungeschminkt fest: «Sohat die Leichtathletik hierzulande jedenfalls kaum eine Chance, sichabseits von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen gegen dieimmer härter werdende Konkurrenz der anderen Sportarten auch imFernsehen durchzusetzen.»

Lobingers Kollege Danny Ecker sieht Berlin «als Chance, derdeutschen Leichtathletik wieder etwas Leben einzuhauchen». Nach nureiner Bronzemedaille in Peking für Speerwerferin Christina Obergföllgab's nicht nur Beileidsschreiben in den Medien. Es setzte auchKritik von oben - vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) undBundesministerium des Innern (BMI) als Geldgeber - und intern: «BeimNachwuchs, da hakt's. Bei der Trainerbeschäftigung. Bei den Hallen.Die Strukturen sind falsch verteilt: Man muss ganz unten, nicht obenanfangen. Man muss den Nachwuchs noch weiter fördern, sonst brichtalles mal weg», warnt Diskus-Weltmeisterin Franka Dietzsch.

Bei seinem Krisenmanagement hatte der DLV seinen LeitendenBundestrainer Jürgen Mallow zum Sportdirektor gemacht und in derZentrale in Darmstadt an den Schreibtisch verbannt. «Wenn manFußball-Bundestrainer Joachim Löw mit Jürgen Mallow vergleicht, dannsieht man, was in den vergangenen Jahren in der Leichtathletikpassiert ist und oder nicht», sagt Lobinger.

Die altgedienten Disziplinexperten Herbert Czingon und RüdigerHarksen stehen als neue Bundestrainer nun bei den Meisterschaften amWochenende erstmals auf dem Prüfstand. «Rüdiger Harksen istregelmäßig bei uns im Training. Da ist etwas Frisches gekommen, dastut gut», lobt Sprinter Tobias Unger. Und Zehnkämpfer André Niklausmeint: «Hinter den Kulissen wird ganz schön gewuselt. Der Verband istmeiner Meinung nach auf dem richtigen Weg.»

Noch mehr «wuseln» müssten Prokop und Co. nach Ansicht so manchesLandesverbandspräsidenten bei der WM-Vermarktung. Von fünf nationalenSponsoren sind mit der Deutschen Post und dem EnergieunternehmenVattenfall zwei gefunden, ein dritter soll demnächst präsentiertwerden. 500 000 Eintrittskarten sollen verkauft werden, knapp 200 000sind bisher weg. «Viel zu spät», so der Berliner VerbandschefReinhard von Richthofen-Straatmann, sei der DLV aktiv geworden. AuchDOSB-Präsident Thomas Bach fordert eine intensivere Marketing-Kampagne und eine «Offensive» nach der Wintersport-Saison.

«Die Fußball-WM 2010 in Südafrika und selbst die Frauenfußball-WM 2011 in Deutschland ist viel präsenter», kritisierte derwürttembergische «Landesfürst» Jürgen Scholz. «Vielleicht hat mangedacht, das sei ein Selbstläufer wie die Handball-WM.» DLV-PräsidentProkop sieht sich und seine Mitstreiter jedoch voll im Zeitplan fürdie 44 Millionen Euro teure, weltweit größte Sportveranstaltung indiesem Jahr: «Wir bauen eine Fieberkurve auf. Man kann nicht einhalbes Jahr vor so einem Großevent die Spannung aufgebaut haben undhalten.»