Lebensunterhalt Lebensunterhalt: Geiz ist Geil?
Halle/iposa. - Neulich in einem Dönerladen. Es unterhalten sich zwei hallesche Bauarbeiter über ihre Arbeit. Sagt der Große: „Ich habe heute in eener Bude saniert, so was haste noch nich jesehen.“ Fragt der Kleine: „Wer hat denn da jewohnt – Assis?“ Sagt der Große: „Schlimmer noch ... Studenten!“ Schluck. Verdutzt blieb mir die Portion Zwiebeln im Hals stecken, denn so ist also das Bild vom Studenten: Schlimmer als Assis ...
Dass Studenten aber auch über eine gehörige Portion Vermögen verfügen können, hat sich in diesem Jahr herausgestellt, als das Kultusministerium des Bundes an die Finanzämter eine Anfrage stellte, wie hoch denn die Zinseinkünfte der Bafög-Empfänger seien. Diese sogenannte Rasterfahndung kam zu erstaunlichen Ergebnissen, schließlich waren demnach bundesweit etwa 25 Prozent der Studenten dem Betrugsvorwurf ausgesetzt. Möglich machte die große Fahndung eine Änderung des Einkommensteuergesetzes von 1999. Danach ist es möglich, Anträge auf Sozialleistungen wie Bafög mit den Freistellungsaufträgen für Zinseinkünfte zu vergleichen. Der Bundesrechnungshof schlug vor, nach diesem Muster auch Bafög-Bezieher zu durchleuchten.
Nach dem Gesetz müssen Studenten mehr oder weniger bettelarm sein, bevor sie Anspruch auf Bafög haben. Bis Juli 2002 durften sie allenfalls 6000 Mark auf der „Kante“ haben, jetzt liegt die Grenze bei 5200 Euro. Für "völlig willkürlich" halten viele Studenten diesen Freibetrag, der 2001 zum ersten Mal nach 24 Jahren erhöht wurde. Bei den meisten von der Rasterfahndung beanstandeten Fällen geht es aber um die Zeit zuvor - doch in diesen 24 Jahren seien die Freibeträge nach Dafürhalten der Betroffenen unrealistisch gering gewesen.
„Auch Studenten haben doch das Recht auf eine gewisse Vorsorge und Lebensplanung“, sagen aufgrund des noch schwebenden Verfahrens lieber unerkannt bleibende Studenten. Denn: Wovon soll ein Student leben, wenn die Bafög-Förderung ausläuft und man noch im Examen steht? Wie soll man die Zeit zwischen Studienabschluss und Berufseintritt finanzieren, wenn das Konto eher leer sein muss? Aber auch Studenten, die für ihr Studium ins Ausland reisen müssen, sollten die Möglichkeit des Ansparens größerer Beträge haben, damit sie ein Auslandsjahr finanziell besser verkraften können.
Ohnedies werden nur diejenigen beim Mogeln erwischt, die sich weniger clever angestellt haben. Denn wer erst gar keinen Freistellungsauftrag erteilt hatte, dem können die Bafög-Ämter eigentlich auch nicht auf die Schliche kommen. Gerecht? Sicher nicht. Trotzdem sollte nicht unterschlagen werden, dass ein Großteil der beschuldigten Studenten, ob aus Unwissenheit oder vorsätzlich, bei den Auskünften über Vermögenswerte eben keine vollständigen Angaben an den entscheidenden Stellen gemacht haben (Sozialbetrug!). Andererseits: Wem ist, bei den insgesamt 120 Fragen schon immer bewusst, was der Unterschied zwischen Kapitalvermögen und Fondvermögen ist? Nun ja, dass die Dinge diesen Lauf nehmen, hat sicher nicht einmal das Studentenwerk gewollt. Seit Februar ist man dort von dieser Aktion stark belastet, auch weil keine zusätzlichen Sachbearbeiter eingestellt wurden. Gerade vor dem Hintergrund einer unsicheren Rechtslage bei der Durchführung einer Rasterfahndung und der Weitergabe sensibler Daten ein Hemmnis.
Fakt ist, dass die ersten Bescheide über Rückforderungen inklusive Strafen von bis zu 2500 Euro an die geprüften Sozialbetrüger geschickt wurden. Dabei findet eine Einzelfallprüfung statt, wie Matthias Müller vom Bafög-Amt versichert. Viele der Betrugsvorwürfe erledigen sich bei genauerer Prüfung. Aber bis dahin müssen die Studenten sechs Monate warten, alle ihre Geldbewegungen seit Studienbeginn offen legen und innerhalb kurzer Zeit eine Stellungnahme abgeben. Die Rechtsberatung des Stura wurde sicher auch noch in Anspruch genommen.
Die ersten Rück-Bescheide gingen im Juni raus, auf die letzten muss man wahrscheinlich bis zum Jahreswechsel warten. Knapp 1000 hallesche Studenten (oder Sozialbetrüger) werden bis dahin noch voller Nervosität wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner den Gang zum Briefkasten gehen. Vielleicht war dies auch das eigentliche Ziel dieser gesamtdeutschen Rasterfahndung: Einen großen Abschreckungseffekt zu erreichen. (Sozial)Betrug ist bei vielen Menschen Gang und Gebe, aber von Studenten lässt man sich so etwas dann doch nicht bieten. Schließlich sind Studenten in der öffentlichen Wahrnehmung ja schlimmer als Assis..., oder?