Landesbildungszentrum in Halle Landesbildungszentrum in Halle: Lernen im Schaukelraum

Halle (Saale)/MZ - In dem Büro von Wolfgang Spinneken hängt eine Pinnwand über dem Schreibtisch. Daran sind Fotos von Kinder- und Jugendgruppen, von Ausflügen und gemeinsamen Festen des Landesbildungszentrums (LBZ) für Körperbehinderte in Halle. „Hinter jedem Foto steckt eine Geschichte“, sagt der Sozialarbeiter und blickt auf die Zeugnisse seiner Arbeit. Eine Geschichte ist auch Schulleiterin Kerstin Siegert im Gedächtnis geblieben: Ein junges Mädchen kam nach einer Hirnblutung in das LBZ. Mit zu erleben, wie es sich entwickelte und viele Dinge wieder neu erlernte, hat die Pädagogin geprägt. „Das Mädchen hat uns sehr viel Kraft und Mut gegeben“, erzählt Kerstin Siegert.
Das LBZ ermöglicht es rund 300 körperbehinderten Kindern und Jugendlichen aus dem Süden Sachsen-Anhalts, trotz ihrer Handicaps einen schulischen Abschluss zu machen. Nur so, durch bestmögliche Bildung in einem Umfeld, das ihren Bedürfnissen angepasst ist, haben sie Chancen für ihre Zukunft.
Kleine Klassen
Schüler mit Förderbedarf der körperlichen und motorischen Entwicklung sowie beim Lernen können in dieser Einrichtung die Grundschule absolvieren und im Rahmen der Sekundarschule die gleichen Abschlüsse machen wie an vergleichbaren Schulen. Das Besondere am LBZ ist der individuelle Umgang mit jedem einzelnen. Um den Bedürfnissen gerecht zu werden, lernen nur fünf bis zwölf Schüler in jeder Klasse. Je nach Behinderung passen die Lehrer die Aufgabenstellungen an. Für Kerstin Siegert ist die Lehrtätigkeit am LBZ eine tolle Erfahrung. „Man kann und muss das ganze pädagogische Handwerk ausreizen“, sagt sie. Die insgesamt 64 Lehrer und 43 pädagogischen Mitarbeiter begleiten und betreuen die Schüler nicht nur in den Unterrichtsstunden, auch das außerschulische Programm wird gefördert - denn Lernen soll schließlich gerade für die benachteiligten Mädchen und Jungen cool sein.
Es ist bereits 14 Uhr. Längst ist Unterrichtsschluss, doch die Schüler spielen und beschäftigen sich unter Betreuung weiter im LBZ, bis sie abgeholt werden. Sie können sich im Jugendclub austoben und Billard oder Kicker spielen. Auch einen Chor und eine Schulband gibt es an der Schule.
Gern genutzt wird der Snoezelraum, in dem sich die Schüler entspannen und motorische Übungen in einem ruhigen Umfeld machen können. Auch einen Matsch- und einen Schaukelraum bietet das Zentrum. Der Schaukelraum ist durch bunte Vorhänge geteilt, an denen geknöpft, geschnürt, Reißverschlüsse und Schnallen geöffnet und wieder geschlossen werden können. „Das dient der Entwicklung von motorischen Fertigkeiten“, sagt Spinneken. Dieser Raum ist nur eines der Projekte, die der Förderverein der Einrichtung, dessen Chef Spinneken ist, ermöglicht hat.
Spenden ermöglichen Angebote
Im vergangenen Jahr organisierte Spinneken eine Chorfahrt, Zubehör für den Computerraum und eine Schaukel für die Grundschüler. Es sei nicht immer leicht, solche Vorhaben finanziell zu stemmen und Sponsoren zu finden, aber wie den Verein „Wir helfen“ gebe es viele Unterstützer, sagt Spinneken. Er wird nicht müde, für seine Schützlinge Klinken putzen zu gehen - damit sie Bildung im weitesten Sinne und möglichst keine Ausgrenzung erfahren.
Ein besonderes Erlebnis sind in jedem Jahr die Ferienfahrten. Bis zu 50 Schüler verreisen im Sommer zehn Tage. Spinneken war mit einer Gruppe in Wandlitz. Auf dem Programm stehen vor allem Spaß und eine kreative Freizeitgestaltung, aber auch ein bisschen Kultur sei immer dabei, erzählt der Sozialpädagoge. Doch die Reisen kosten zusammen 10 000 Euro. „Ganz toll war, dass der Verein ’Wir helfen’ uns da im Sommer mit 2 000 Euro unter die Arme gegriffen hat.“
„Viele Dinge müssten wir nicht machen, aber wir wollen, weil unsere Schüler lernen, leben und sich vergnügen sollen wie alle anderen Kinder und Jugendlichen ohne Behinderungen auch“, sagt Spinneken. „Und weil wir an die Zukunft unserer benachteiligten Schüler denken.“ Deshalb soll es die Ferienreisen, Arbeitseinsätze im Schulgelände, Disco-Abende, das Sommerfest und das Elternwo-chenende auch künftig geben. Selbstverständlich sei es, auch die Familien so gut wie möglich in die Aktivitäten einzubinden.