Klimawechsel
München/dpa. - «Was, das macht ihr fürs ZDF?» Diesen erstaunten Satz hörte Regisseurin Doris Dörrie während der Dreharbeiten zu ihrer neuen Serie «Klimawechsel» immer wieder.
Und auch Dörrie selbst fragte mehrmals bei Produzent Oliver Berben nach, ob das ZDF die Serie auch wirklich zeigen werde. Noch dazu im Hauptprogramm, das sonst Landärzten, Bergdoktoren und Traumschiffen vorbehalten ist. Tatsächlich ist die von diesem Mittwoch (20.15 Uhr) an ausgestrahlte sechsteilige Miniserie über vier Lehrerinnen in den Wechseljahren ein Tabubruch in der öffentlich-rechtlichen Fernsehlandschaft.
Denn da ist die sich verzweifelt an die Reste ihrer Jugendlichkeit klammernde Mittfünfzigerin Beate (Ulrike Kriener), die ihr Sexleben mittels einer Vaginalstraffung aufpeppen will. Mauerblümchen Cornelia (Juliane Köhler) wird von Panikattacken gequält und lässt sich von einem minderjährigen Schüler schwängern. Die dicke Angelika (Maria Happel) törnt mit ihren nächtlichen Schweißattacken den durchtrainierten Ehemann ab und sucht Trost im Sufismus. Und die unter ständigem Schlafmangel und ihrem notorisch untreuen Partner leidende späte Mutter Desirée (Andrea Sawatzki) sagt Sätze wie: «Ich bin so müde, mir platzen die Titten». Ungewöhnlich gewagt ist sie, diese ZDF-Serie. Frivol gar, an sämtlichen Schamgrenzen rüttelnd. Und saukomisch, ohne die hintergründige Tragik der Protagonisten zu verschleiern. «Man kann nur komisch sein, wenn man den Ernst der Lage begreift», sagt Dörrie dazu.
Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Panikanfälle - für viele Betroffene haben die Wechseljahre etwas niederschmetternd Ernstes. Reden wollen die wenigsten darüber. Über die Sorge, die Attraktivität zu verlieren, schon, meint Hauptdarstellerin Ulrike Kriener. «Aber nicht darüber, wie viel Sex man noch hat, ob man sich vom eigenen Mann angenommen fühlt, ob das noch alles gut geht», sagt die 55-Jährige, die für ihre Rolle als sexbesessener Vamp ihre Scheu vor freizügigen Szenen abstreifen musste. Um sich vor all den Männern am Set nicht vollständig zu entblößen, habe sie sich in einer Szene bei der Frauenärztin mit Strumpfhosen auf den Gynäkologie-Stuhl gelegt. «Doris rief gleich: So ein Unsinn, zieh die sofort aus», erinnert sich Kriener. «Das geht nur, wenn da ein tiefes Vertrauen ist zwischen Schauspielern und Regisseur», fügt Dörrie hinzu.
Das Vertrauen der deutschen Schauspielerriege in Dörrie muss grenzenlos sein. Ob Juliane Köhler, Maren Kroymann oder August Zirner - niemand der hochkarätigen Besetzung zögerte auch nur einen Moment mit der Zusage für «Klimawechsel». «Ich glaube, bei solchen Geschichten mitzuspielen ist der Traum jeden Schauspielers», sagt etwa Andrea Sawatzki, die wie Ulrike Kriener vor allem als Fernseh-Kommissarin bekannt ist - und jetzt die durchgeknallte und dabei derb bayerisch sprechende verkannte Künstlerin Desirée spielt. «Mein Spaß war es, Ulrike und Andrea ihren Rollen, die sie sonst so spielen, zu entreißen», sagt Dörrie. «Es ist ein unglaubliches Potenzial an Schauspielern da». Das Potenzial der Serie hat auch der amerikanische Sender HBO erkannt, der schon über eine Adaption von «Klimawechsel» nachdenkt. Dörrie ist angetan von der Vorstellung, ihre Figuren von Hollywoodstars verkörpert zu sehen. «Beim Casting müssen aber alle die Stirn runzeln - wer das nicht kann, hat keine Chance», sagt Dörrie scherzhaft und spielt auf den Trend des Faceliftings an.
Doch kommt «Klimawechsel», dieser Facelift für die deutsche Serienlandschaft, auch in der Bundesrepublik an? Schließlich ist Dörries Serie so etwas wie eine Kriegserklärung an das öffentlich-rechtliche Programm. «Sie ist aus purer Notwehr entstanden», sagt die Regisseurin. Sie sei entsetzt von dem Bild der Frau in ihrem Alter um 20.15 Uhr auf ARD oder ZDF. «Gibt's noch eine Frau in meinem Alter, die keine Farm in Afrika aufmacht? Wo komme ich denn da noch vor im Öffentlich-Rechtlichen?», frage sie sich. «Vor lauter Wut und Frust» hat sie «Klimawechsel» geschrieben - und damit ein in der Öffentlichkeit bisher geschmähtes Thema federleicht verpackt. Und gnadenlos überzeichnet, jedoch ohne es jemals der Lächerlichkeit preiszugeben.
«Ich denke, dass es zwei Fraktionen geben wird: Die einen werden begeistert sein, die anderen schockiert», prophezeit Ulrike Kriener. Auf die Erstausstrahlung blickt die Schauspielerin mit gemischten Gefühlen. «Klar bin ich aufgeregt. Mein Mann hat die Serie noch nicht gesehen, mein Sohn auch nicht.» Kurz hält sie inne, ein unangenehmer Gedanke durchzuckt sie. «Oh Gott, was wohl meine Eltern davon halten?»