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Kinostart: 2.Mai Kinostart: 2.Mai: «Im toten Winkel»

Von Irma Weinreich 28.04.2002, 15:17

Berlin/dpa. - Multitalent und Regisseur André Heller (Jahrgang 1947) sowie AutorOthmar Schmiderer lassen die Zeitzeugin 90 Minuten lang in derDokumentation «Im toten Winkel. Hitlers Sekretärin» zu Wort kommen.

Wie sehr der Film und das Buch, das sie zusammen mit der AutorinMelissa Müller veröffentlichte, Zuschauer und Leser bewegten, erlebteTraudl Junge nicht mehr: Sie starb in der Nacht zum 11. Februar anKrebs - nur wenige Stunden nach der Premiere der Dokumentation aufder Berlinale.

Bis ins hohe Alter war Junge außer Stande, dem «jungen, kindischenDing», das sie einmal war und das Sympathie für Hitler empfand, dieNaivität von damals zu verzeihen. Für ihr Versagen gebe es keineEntschuldigung, sagt sie. «Hitler war ein echter Verbrecher. Ich habees nur nicht gemerkt. Und außer mir haben es Millionen nichtgesehen.»

Der Film verzichtet auf die gewohnten Schreckensbilder von derKriegsfront, von ermordeten Juden, KZ-Häftlingen oder SS-Schergen.Hitler kommt nur als Name vor. Was Traudl Junge in der Nähe Hitlersbeobachtete, ist nicht einmal unbedingt neu: Dass der Führer anMagen- und Darmbeschwerden litt, keine Schnittblumen in seinerUmgebung duldete, weil er «keine Leichen rumstehen» haben wollte,dass er nicht rauchte und trank, seinen Hund Blondi Kunststückevorführen ließ und ihm «Erotik nicht so ganz geheuer» war. TraudlJunge erinnert sich mit einer Genauigkeit, als wäre es gesterngewesen.

Wo Hitler sich aufhielt, zog seine Sekretärin drei Jahre im Trossmit: In die Wolfsschanze, auf den Obersalzberg und in dieReichskanzlei in Berlin. «Ich hatte nie das Gefühl, dass er bewusstverbrecherische Ziele verfolgt. Für ihn waren das Ideale ... Ich habgedacht, jetzt bin ich an der Quelle der Information. Aber ich war imtoten Winkel. Das war die große Lüge.» Das Entsetzen über sich selbstist immer wieder greifbar.

Junge beschreibt auch die letzten Tage vor Kriegsende im«Führerbunker» - sie erlebte sie wie im Trance. Ständig sei davongeredet worden, wie man seinem Leben am sichersten ein Ende machenkönne. Nachdem sich Hitler erschossen hatte, habe sie plötzlich Hassauf ihn empfunden. Aber nicht, weil er Millionen Menschen auf demGewissen hatte, sondern «weil er uns im Stich gelassen hat und uns indieser Mausefalle sitzen ließ».

Nach Kriegsende war Traudl Junge ein halbes Jahr inhaftiert undwurde 1947 als «jugendlicher Mitläufer» entnazifiziert. Im selbenJahr schrieb sie ihre Geschichte auf, die kürzlich - Jahrzehntespäter - auch als Buch erschienen ist («Bis zur letzten Stunde.Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben», Claasen Verlag).

In der Nachkriegszeit arbeitete Junge als Sekretärin für eineIllustrierte und als Wissenschaftsjournalistin. Die Aufnahmen für dieDokumentation, die mit wenigen Einstellungen auskommt, entstanden imFrühjahr 2001 in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung in München. Wie RegisseurHeller berichtet, hat Traudl Junge in einem letzten Telefongesprächnoch gesagt: «Jetzt habe ich die Geschichte losgelassen, und nun kannich auch das Leben loslassen.»