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Jugendkultur Jugendkultur: Kunst im Zeichen der Sprühdose

Von Steffen Drenkelfuss 24.10.2001, 18:21

Köthen/MZ. - Lässig steht HenningHölemann in überweiten Hosen, grauem Shirtund Jeansjacke an eine Wand gelehnt und lauschthöflich interessiert jenen freundlichen Worten. Diese sprudeln aus den Mündern zweier Verwaltungsbeamterund sie gelten ihm, dem Köthener Graffiti-Künstler,und seinen Mitausstellern Kirstin Irmscher,Alexander Sitt, Karsten Schebesta und MarioFeder.

"Wir wollen Kunden ködern."

Henning Hölemann, Köthener Graffiti-Künstler

Zur offiziellen Ausstellungseröffnungregionaler Graffiti-Kunst im Foyer der erstenEtage der Landkreisverwaltung Köthen beglückwünschtein Redner der Institution sich, die Verwaltungund die fünf jungen Künstler zur Idee, Graffitials Ausdruck der Hip-Hop-Kultur eine Plattformgeschaffen zu haben. Die guten Worte prasseln- und einige der nicht sehr zahlreich anwesendenjugendlichen Eröffnungsbesucher schauen so,als ob sie wüssten, dass die Einvernahme derrebellischen Jugendkultur durch das bürgerlicheEstablishment kontraproduktiv sein könnte.

Aber noch ist Hoffnung, denn jetzt sprichtein Freund von Henning Hölemann als Gastredner.Gewandet in den konfektionierten Kampfanzugder Armee von Leitzordnerverwaltern trittdieser Freund der Jugend vors Auditorium underhebt die Stimme: "Ich, jemand der Hip Hoplebt, möchte etwas sagen zum schlechten Imagedes Hip-Hop und seiner Graffiti-Sprayer."Obwohl er verspricht, seine Zuhörer nichtzu langweilen, hält der 39-jährige BernhardLohe, Mitarbeiter der Kreisverwaltung Aschersleben-Staßfurtund Schöffe, nun ein zehnminütiges Plädoyergegen das Verkanntwerden dieser Kultur alsSprühdosen-Spaßattacke gegen triste Gebäudein der urbanen Lebenswelt. Dabei liest eraus einem gelben Aktendeckel, so wie man ihnnun mal in Verwaltungen findet, ab.

Nonkonformist Henning Hölemann hört sich diesalles an und findet noch ein paar Worte desDankes für seine Vorredner. Dann die Erlösung:"Die Ausstellung ist eröffnet. Schauen Siesich die Motive genau an. Bei Gefallen könnendie Kunstwerke sofort erworben werden", undmit einer eleganten Kopfbewegung deutet erauf eine freistehende Säule, "dort findenSie den Preisaushang."

Jetzt, wo in zwanglosen Gesprächen die etwa30 Ausstellungsbesucher Maltechniken und Sujetsdiskutieren, ist der Graffiti-Künstler Hölemannin seinem Element. Witzig erläutert er Detailsder präsentierten Exponate, gibt versiertInterviews. "Für uns als Künstler ist dieAusstellungsmöglichkeit sehr wichtig. Wirwollen Kunden ködern." Nein, dies sei keinAusverkauf der Ideale des Hip-Hop, der sicheinst gegen den Kommerz des Mainstreams stellte.Es waren schwarze Teenager in Amerikas härtestemGhetto, der South Bronx von New York City,die Mitte der 70er Jahre mit neuen Formenvon Musik, Tanz und Kunst experimentierten- und dabei ganz ohne Plattenverträge, Promotion-oder Video-Budgets im Rücken, ihre Kultur,ihre Musik, ihre Bilder kreierten.

Hölemanns Freund und Mitaussteller AlexanderSitt erklärt: "Was uns eint, ist dieses Feeling.Wir versuchen das mit unseren Bildern undMotiven auszudrücken." Der 21-jährige ZivildienstleistendeSitt lässt aber keinen Zweifel daran, dassdie Kosten - er gibt 200 bis 300 Mark fürSprühdosen, Leinwände und Stifte pro Monataus - nach Möglichkeit wieder erwirtschaftetwerden müssen. Immerhin, die Sujets der meistender etwa 20 Motive könnten da hilfreich sein.

In unterschiedlichen Maltechniken mit Airbrush,Pinsel und Sprühdose sind überproportionalviel schöne Mädchen auf Leinwand und Papierfestgehalten. Die Palette reicht dabei vonCD-Cover-Kitsch bis hin zur anspruchsvollen,mosaikartigen Komposition des Themas. Kaufenkann man die Werke übrigens für Preise zwischenein paar hundert bis zu eineinhalbtausendMark. Um sich selbst eine Meinung bilden zukönnen, haben Besucher noch bis Mitte NovemberGelegenheit, im Landkreisamt Köthen die Graffiti-Ausstellungzu sehen.