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Jubiläum Jubiläum: Kalbsriether gründete vor 100 Jahren das erste Kabarett

Von Karla Sander 17.01.2001, 14:25

Kalbsrieth/MZ. - "Berlin feiert im Januar 100 Jahre Kabarett", heißt es in diesen Tagen gelegentlich in den Tageszeitungen. Eigentlich hätten auch die Bürger hier, zumindest die Kalbsriether, Grund zum Feiern. Denn der Mann, der am 18. Januar 1901 in Berlin mit einigen Künstlerkollegen einen "Sektausschank für deutsche Schwerblütler" ins Leben rief und "kleine Kunst in liebenswürdiger und feiner Form für verwöhnte Geschmäcker" darbot, das ganze "Überbrettl" nannte, turnte als Kind im Schloss und Park von Kalbsrieth herum. Hier fing er Käfer, trocknete Blumen und neckte seine Großmutter.

Die Rede ist von Ernst von Wolzogen, einem Spross jener Familie von Wolzogen, die über vier Generationen hinweg Schloss Kalbsrieth ihren Heimatsitz nannte.

Sein Großvater, Ludwig von Wolzogen, hatte es 1820 erworben. Auch sein Vater, Alfred von Wolzogen, blieb dem alten Rittergut treu; selbst wenn ihn die Geschäfte als Regierungsbeamter nach Breslau führten, wo am 23. April 1855 sein zweiter Sohn Ernst geboren wurde.

Nach dem Studium der Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie reiste Ernst in der Weltgeschichte umher, benutzte aber jede Gelegenheit, um schnell einmal nach Kalbsrieth "hinüber zu flitzen". Es blieb ihm bis ins hohe Alter sein "Kindheitsparadies", und er bezeichnete sich selber stets als Kalbsriether.

Ernst, ein Mann mit Geist, Witz und Charme, mit vielen Talenten gesegnet, vor allem schriftstellerisch begabt, verfasste als humorvoller und gewandter Erzähler Gedichte, Kurzgeschichten, Erzählungen; einige Dramen wurden mit mehr oder weniger Erfolg aufgeführt. Den Durchbruch zur Berühmtheit verschaffte ihm 1897 sein Anekdotenband "Die Gloriahose", die ihm ein Wettlauf der deutschen Blätter um Mitarbeit einbrachte. Man riss sich um seine witzigen Glossen zur Zeitgeschichte. Im gleichen Jahr gründete er in München zusammen mit Franz von Ostini und Ludwig Ganghofer die "Münchner Literarische Gesellschaft".

Ein grandioser Erfolg errang sein Roman "Kraft-Mayr", worin er die übertriebene Schwärmerei für Franz Liszt und Richard Wagner aufs Korn nahm. 1901, auf dem Höhepunkt seiner Bekanntheit, gründete er das "Überbrettl", das eine Flut von Gründungen anderer Kabaretts nach sich zog.

Seine Absicht war es nicht, sozialkritisch zu wirken, sein literarisches Kabarett sollte ein übermütiger Künstlerspaß werden. Zu den Mitwirkenden gehörte seine Frau Elsa Seemann, die Schauspielerin Olga Wohlbrück, die Komponisten Viktor Hollaender und Oscar Straus, sein Freund aus Münchner Tagen, Ludwig Thoma und andere.

Er selbst brachte die besten Voraussetzungen mit. Der schwierigere Teil dieses Unterfangens aber - die Finanzierung, laufend Geld zu beschaffen, war seine Stärke nicht, und so zog er sich nach wenigen Jahren aus dem Unternehmen zurück. Die Presse verriss ihn und er konnte nicht an seine alten Erfolge als Schriftsteller anknüpfen.

Nach dem 1. Weltkrieg ließ er sich in der Nähe von München nieder. In dieser Zeit entstanden ernstere und nachdenklichere Gedichte und Romane. Kalbsrieth blieb seine alte Liebe, auch als das Schloss schon in Büchnersche Hände (1908) übergegangen war. Die innige Freundschaft mit Hans Büchner ermöglichte ihm zahlreiche Besuche in der alten Heimat; heiter-besinnliche Verse im Gästebuch zeugen davon.

1930 feierte er mit seiner Frau und seinem Bruder, Hans von Wolzogen, bei der Familie Büchner seinen 75. Geburtstag. Er starb am 30. Juli 1934 und wurde, wie es sein Wunsch war, auf dem Wolzogen-Friedhof in Kalbsrieth beigesetzt.