Irene Henselmann Irene Henselmann: Tee trinken mit Walter Ulbricht
Als Irene von Bamberg wird sie 1915 in Schulpforta geboren. Mit 19 heiratet sie den zehn Jahre älteren Architekten Hermann Henselmann, einen aus Roßla stammenden Holzbildhauer-Sohn. Sie bringt acht Kinder zur Welt; inzwischen ist die Verwandtschaft der Irene Henselmann mit 29 Enkeln und 20Urenkeln zu einer wahrhaftigen Großfamilie angewachsen.
Schon einmal hatte die Frau an der Seite des 1995 gestorbenen DDR-Stararchitekten in die Tasten gegriffen, um der Nachwelt "Meine große Familie" vorzustellen. Jetzt widmet sie sich in ihrem neuen Erinnerungsbuch mit dem Titel "Einsam war ich nie" wiederum dem gleichen Thema: Sie erzählt über die Schicksale ihrer inzwischen weit verstreuten Sippe, erweitert aber ihren Lebens-Rückblick um Begebenheiten und Anekdoten mit namhaften Freunden und Weggefährten, die sich bei Henselmanns die Klinke in die Hand gaben.
Neben den nicht ohne Humor geschriebenen Berichten über Kinder und Kindeskinder, die vielleicht weniger öffentliches Interesse beanspruchen dürften sowie den breit angelegten Geschichten über die immerhin 46 Haushaltshilfen, die im Verlauf des langen Lebens bei Henselmanns für Sauberkeit, Ordnung und die Erziehung der Kinder sorgten, sind es vor allem die Mitteilungen über die zahlreichen Freunde des Hauses, die das Buch lesenswert machen.
Hermann Henselmann war nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst zum Direktor der Staatlichen Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar berufen worden, ehe er zum Chefarchitekten Ost-Berlins avancierte. Dort war er maßgeblich am Aufbau der Stalinallee und des Zentrums rund um den Alexanderplatz beteiligt.
Henselmanns Popularität und seine Nähe zur Macht führten zwangsläufig zu Begegnungen und Berührungen mit politischen Würdenträgern, staatsnahen Künstlern und namhaften Zeitgenossen, die Irene Henselmann nun im Panoptikum ihrer Erinnerungen aufmarschieren läßt: Vom Chirurgen Ferdinand Sauerbruch über die Dichter Erich Kästner und Bert Brecht, den Schauspieler Eduard von Winterstein bis hin zu Ernst Bloch, Robert Havemann und Manfred Krug reicht die lange Liste der Prominenten, mit denen Familie Henselmann freundschaftlichen Umgang pflegte.
Irene Henselmann beschreibt die Bindungen und Kontakte, die Begegnungen und gemeinsamen Erlebnisse mit Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern ganz unaufgeregt; sie erzählt Anekdoten und Episoden, die manchen Namhaften von einst vom Sockel hieven und auf den Boden zurückbringen, wo er besser hin gehört.
Frau Henselmann besichtigt ein gutes halbes Jahrhundert deutscher Kulturgeschichte: Sie erinnert sich an das legendäre Romanische Café an der Berliner Gedächtniskirche, der eigentlichen "Brutstätte all unserer Freundschaften", wo sie Erich Kästner trifft und den Zeichner Erich Ohser, der unter dem Pseudonym "E. O. Plauen" bekannt wurde. Schon von Jugend an war sie an den Umgang mit Persönlichkeiten gewöhnt. Ihre Mutter, die Patentante von Gustaf Gründ- gens, nimmt ihre Tochter zu einer Aufführung mit. Als sie nach der Vorstellung den Star in seiner Garderobe beim Abschminken zusieht, erlebte Irene die "größte Desillusionierung" ihres Lebens: Die umjubelte Bühnenfigur schrumpft zur Privatperson, die nach erledigter Arbeit einfach Feierabend macht. Ein Schock für die junge Frau.
Sie schließt Freundschaft mit dem skurrilen Maler und Grafiker Al-bert Schäfer-Ast, sie trifft den Bildhauer Hans van Breek, einen Bruder des bekannten Nazibildhauers Arno Breker, der sie porträtiert. Und zum engen Zirkel der Familie gehören auch der Grafiker Herbert Sandberg und der Schriftsteller Günther Weisenborn. Sandberg, der 1945 aus dem Konzentrationslager Buchenwald befreit wurde, gründete mit Weisenborn die satirische Zeitschrift "Ulenspiegel".