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Imax-Kino Berlin Imax-Kino Berlin: Im Schatten des Pols

Von Hans-Ulrich Köhler 31.01.2003, 17:28

Halle/MZ. - Zweimal schon hat der britische Polarforscher versucht, den Südpol zu erreichen, zweimal ist er gescheitert. Er muss mit ansehen, wie Amundsen (14. Dezember 1911) und Scott (18. Januar 1912) das Ziel seiner Träume vor ihm erreichen. Nun ist Shackelton zum dritten Mal unterwegs. Von der Insel Südgeorgien sticht er in See, ins Weddellmeer. Das gilt als stürmischstes, als gefährlichstes Meer. Es ist Sommer in der Antarktis, allenfalls Eisschollen, treibende Eisberge und leichtes Packeis können die Endurance gefährden.

Hier, mitten im Eis, hatten im November 1999 die Dreharbeiten zu "Gefangen im Eis" begonnen, einem Film, wie es ihn zuvor noch nicht gegeben hatte. Denn im riesigen Imax-Format, für eine Leinwand von 20 mal 27 Metern Größe, wurde ausschließlich in der Antarktis, an den Originalschauplätzen von einst gedreht. Das russische Schiff Akademik Shuleykin nahm die 40-köpfige Filmmannschaft auf. Die chilenische Laurel bugsierte den Hubschrauber für die Luftaufnahmen durchs Eis. Alle wichtige Filmtechnik, darunter drei Imax-Kameras, war doppelt an Bord, weil Reparatur oder Austausch unmöglich gewesen wären. Shackeltons Sommer 1914 / 15 hat es plötzlich in sich. Packeis, wie es das seit Menschengedenken nicht mehr gab. Nach sechs Wochen sitzt die Endurance fest. Shackeltons Männer hoffen auf den Frühling, doch als er kommt, wird das Schiff nach 326 Tagen in eisiger Umklammerung zermalmt.

Überrascht nimmt man im Imax-Film wahr, dass die dem Untergang geweihten Männer ständig am Filmen und Fotografieren waren. So sind die originalen Filmszenen vom Jahr 1915 die ergreifendsten im Film. Die Kombination mit nachgestellten Szenen macht aus dem Film eine Art Dokumentarspiel in XXL. Es gibt keine Charaktere, keine Dialoge, nur einen Erzähler, der - mit allzu bedächtiger Stimme - erklärt, was die Bilder nicht erklären können. Die Filmgeschichte ist das Ereignis selbst. Freilich, einen Helden gibt es, Ernest Shackelton. Wenn es stimmt, was hinterbracht wurde, ist es wohl vor allem seinem psychologischen Geschick zu verdanken, dass alle seine Männer überlebten. Er lässt sie Fußball spielen, Glatzen scheren, sie singen und werkeln, bauen und kochen, spielen, planen, kämpfen, bangen. Umsonst. Als die Endurance sinkt, sitzen sie mit all ihrer Ausrüstung auf riesigen Eisschollen in Zelten und Rettungsbooten fest und treiben durchs zugefrorene antarktische Meer. Die Ausrüstung ist vom Feinsten, Vorräte scheinbar ohne Ende. Shackeltons Antarktis-Erfahrungen zahlen sich aus.

Wie sein Fotograf Frank Hurley filmte die Imax-Crew von White Mountain Films und Nova Boston auf einer treibenden Eisscholle. Die Schauspieler trugen Schwimmwesten unter den Kostümen, jedes Ausstattungsdetail macht Mühe. Denn die 20-Meter-Bilder im Imax-Film würden schonungslos offenbaren, wenn die Schrauben in den Bootsplanken aus dem Baumarkt kämen. Hurleys Fotos waren eine Fundgrube für die Requisiteure. Dabei hatten nur 120 Glasplattennegative das Eis überlebt, mehrere Tausend wurden vernichtet. Im Frühjahr 1915 erreichen die Männer offenes Wasser und tun, was niemand tun würde. Durch tosendes Eismeer rudern die Männer zu den Elephant-Islands, dem nächsten Ziel - 300 Kilometer entfernt. Nun sollen die Zuschauer mitfrieren in den eiskalten Rettungsbooten, mittanzen in gewaltigen Wellentälern. Die tiefe Rührung will sich vor den Riesenbildern aber nicht einstellen: Es ist wie beim Blättern im "Playboy" - die Perfektion drückt die Emotion nieder. Da bleibt nur Staunen, kein Leiden.

Nach 497 Tagen im Eis haben die Männer auf Elephant Island erstmals wieder festen Boden unter den Füßen. Doch ewig überleben könnten sie hier nicht. Aber auch nicht weiter rudern. Shackelton weiß, noch mal bekommt er alle seine Männer nicht in die Boote, sie sind am Ende. Aber nur im Boot sieht Shackelton die Rettung. Mit fünf seiner Männer rudert er schließlich am 27. April 1916 im Rettungsboot James Caird von Elephant-Island los - über 1 000 Kilometer durchs Eismeer, dorthin, wo sie vor fast zwei Jahren gestartet sind, nach Südgeorgien, 17 Tage, die an Dramatik kaum mehr zu überbieten sind. Shackelton wird später schreiben: "Wir haben dabei das Innerste der menschlichen Seele berührt." In Südgeorgien angekommen, schleppen sich die sechs eineinhalb Tage lang durch ein vergletschertes Hochgebirge hinüber zur Walfänger-Station Stromness. Am 20. Mai 1916 sinken sie erschöpft auf die Stufen vor dem Haus von Stationschef Sorlle.

Auf diesen Stufen sitzen acht Jahrzehnte später Arved Fuchs und Reinhold Messner. Beide kennen beide Pole, gemeinsam hatten sie 1989 als erste Menschen allein die Antarktis via Südpol durchquert und sind seitdem zerstritten, wird behauptet. Und auch im Umgang mit Shackeltons Erbe gehen die beiden bekanntesten Abenteurer der Welt getrennte Wege. Während Fuchs 2000 die waghalsige Bootsfahrt von Elephant Island nach Südgeorgien erfolgreich wiederholt und für das ZDF verfilmt, spielt Messner im Imax-Film mit. Der Bergsteiger, der als erster Mensch alle 8 000er bestieg, wurde engagiert, um im Film Shackeltons Gewaltmarsch über die GletscherbergeSüdgeorgiens nachzumachen, alpinistisch keine Herausforderung für Messner. Er nahm sich drei Tage Zeit, bestens ausgerüstet, trainiert und wohlgenährt. Shackelton schaffte die Gletschertour nach fast 600 Tagen im Eis in 36 Stunden. Konkurrent Arved Fuchs wäre um ein Haar im selben Film aktiv geworden, besser sein Boot, die James Caird II, ein getreuer Nachbau von Shackeltons Boot von anno 1515. Doch als die Filmcrew 1999 zum ersten Mal anfragte, war Arved Fuchs mitten in den Vorbereitungen zu seiner eigen Shackelton-Expedition, die im Januar 2000 begann. Das Boot den Filmleuten auszuleihen, schien ihm dann doch zu riskant. Ein bisschen blitzt die Rivalität Fuchs-Messner auf, wenn Fuchs sagt, die Messner-Passage sei im Film viel zu dramatisch dargestellt. Wirklich unmenschlich hart war es auf dem Meer. Dort, wo er, Fuchs, segelte und filmte.

Shackelton ist am Ende seiner Kräfte, als er nach dem Gewaltmarsch über das Hochgebirge die Walfängerstation an Südgeorgiens Nordküste erreicht. Unverzüglich kurbelt er die Hilfsaktion für seine noch auf Elephant-Island festsitzenden Männer an. Drei Monate später, am 30. August 1916 erreicht Shackelton seine zurückgelassene Mannschaft und telegrafiert das Unglaubliche nach 635 Eis-Tagen in die Heimat: Keinen einzigen Mann verloren!

"Gefangen im Eis", Imax Discovery Channel Theater Berlin, Tel. 01805 / 46 29 22 55

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www.arved-fuchs.de