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Harz Harz: Verliebt in Ilse und Bode

Von Klaus Thiele 23.04.2004, 13:57

Halle/MZ. - Eine vom Leben am Weimarer Hof verzärtelte Mimose kann Deutschlands Dichterfürst wirklich nicht gewesen sein. Ausgerechnet im tiefsten Winter bestand Johann Wolfgang von Goethe darauf, mit dem zögerlichen Förster Degen den Brocken zu besteigen. Das war im Dezember 1777. "Alle Nebel lagen unten, und oben war herrliche Klarheit", schrieb Goethe.

Damals wartete oben natürlich noch kein Hotel mit "Goethe-Stube". Dafür fand der Dichter dort die Inspiration für die Blocksberg-Szenen im "Faust". Heute erobern auf dem Goethe-Weg an schönen Tagen Tausende den höchsten Berg Norddeutschlands. Die Route auf des Dichters Spuren ist der bequemste Fußweg zum Brocken-Gipfel. "Schöner, aber beschwerlicher", sagt Nationalpark-Ranger Dirk Gronowski, "ist der Aufstieg von Ilsenburg". Der trägt den Namen Heinrich Heines. Dieser hatte sich, wie in seiner "Harzreise" zu lesen, in die "liebliche, süße Ilse" verliebt. Das war keine Dame, sondern der Fluss im wildromantischen Ilsetal. Auf Dichter-Pfaden geht man also, so verlockend die Fahrt mit der Brockenbahn sein mag, am besten mit Goethe rauf und mit Heine runter.

Fragt man den Nationalpark-Ranger, was denn neben seinem Nationalpark Hochharz das Schönste an dem Mittelgebirge sei, kommt die Antwort ohne Zögern: "Das Bodetal ist von Thale aus spektakulär". Goethe hat dieses, wie er schrieb, "gewaltigste Felsental nördlich der Alpen" noch recht mühsam erkunden müssen. Heute wandert man bequem durch den Grand Canyon des Harzes zur Teufelsbrücke, fährt mit Lift oder Seilbahn hinauf zur Rosstrappe und zum Hexentanzplatz, von dem in der Walpurgisnacht die Zauber-Damen mit dem Fluggerät Besen zum Blocksberg des "Faust" starten.

Auf der ersten seiner drei längeren Harz-Reisen war Goethe aber vor allem als Spion unterwegs, inkognito als "Maler Weber". Der Weimarer Superminister war auch für den Bergbau zuständig und versuchte sich im Rammelsberg sachkundig zu machen. Im Roederstollen klaubte er Kupferkies-Stücke für seine Sammlung zusammen und war beeindruckt von der "Feuersetzen" genannten Abbau-Methode: "Schwarze Höhle, erleuchtete Kammern, Flammengeprassel, Rauch, Zug, Glut, Funken, Sprühen, Knall, dumpfes Getöse der springenden Felsen, zusammenstürzende Flammen, Getös, Hitze." Bei besonderen Führungen sieht man heute Goethe - in Gestalt eines Schauspielers - in diesem Roederstollen Experimente ausführen. Die Rammelsberg-Beschreibungen von Goethe, Heinrich von Kleist, dem dänischen Märchendichter Hans Christian Andersen und anderen lösten einen wahren Montan-Tourismus aus.

Die Stadt Goslar, einst durch die Rammelsberg-Minen reich und mächtig geworden, missachteten dagegen Goethe und Heine. Die Kaiserpfalz war verfallen, die heute so attraktive Fachwerk-Stadt an ihrem Tiefpunkt angekommen. Heine vermerkte, das Pflaster sei "so holprig wie Berliner Hexameter". Goethe nahm sich lieber Zeit für die Baumannshöhle in Rübeland. Sie war damals die weithin einzige bekannte Tropfsteinhöhle. Auch Goethes älterer Kollege Friedrich Gottlieb Klopstock taucht gelegentlich nahezu leibhaftig auf. Im Klopstock-Haus in Quedlinburg räumt sein heutiges Ebenbild Arnold Hofheinz freilich ein: "Man braucht Geduld für mein Werk".

An seinem "Messias" schrieb der Dichter auch an den Klopstock-Klippen. Sie liegen bei der Burg Falkenstein, in der die Romantiker das Idealbild einer Ritterburg sahen. Dort soll Eike von Repgow zwischen 1220 und 1235 den Sachsenspiegel geschrieben haben, das bedeutendste Rechtsbuch des Mittelalters. Ähnlich einsam wie Falkenstein liegt Schloss Oberwiederstedt, in dem 1772 der Frühromantiker Novalis geboren wurde. Junge Leute, denen in der Kindheit das leere Schloss als Abenteuerspielplatz gedient hatte, bewahrten es vor dem Abriss. Noch vor der Wende wurde es Novalis-Museum. Spätere Schriftsteller erholten sich im Harz vom Kulturstress. Franz Kafka zum Beispiel in einem Sanatorium in Stapelburg. Hans Erich Nossack fand Anregung im wunderbar erhaltenen Jugendstil-Sanatorium Dr. Barner in Braunlage. Doch mit dem ganz großen, von einem Sanatorium inspirierten Literatur-Wurf war ihm Thomas Mann zuvorgekommen. "Der Zauberberg ist nun einmal geschrieben", stellte Nossack enttäuscht fest.

In Theodor Fontanes Werk dagegen spielen Orte im Harz schon eine Rolle. In "Celine" ist das Quedlinburger Schloss beschrieben und die verglaste Veranda des Hotels Zehnpfund in Thale, einst eines der größten Sommerhotels Deutschlands. Von der Veranda beobachtete Fontane, wer gerade mit der Bahn aus Berlin ankam. Das Haus wurde später zum Rathaus, soll aber bald wieder Vier-Sterne-Hotel werden. Fontane wollte in Wernigerode gern begraben sein, fand aber dann doch dort nicht seine letzte Ruhestätte. Er hatte in Wernigerode an seinem ersten Krimi "Ellernklipp" geschrieben.

Auch auf Goethe trifft man wieder in Wernigerode. Er versuchte dort vergeblich, einen Studenten aufzumuntern, der durch das Lesen seines "Werther" lebensmüde geworden war. Für Wernigerode lieferte übrigens ausgerechnet Heidedichter Hermann Löns den ultimativen Werbeslogan: "Die bunte Stadt am Harz". In Jüttners Buchhandlung gibt es einen Nachdruck seiner Stadtbeschreibung von 1910. Löns war aber auch einer der ersten Tourismus-Kritiker. Etwas mehr Strenge forderte er, "denn allzu viel Pöbel fährt sonntags durch den Harz und verschandelt das Land mit Papier und Flaschenscherben".