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Hans-Dieter Hermann Hans-Dieter Hermann: fürs DFB-Team

Von Jan Christian Müller 09.06.2010, 15:11

Frankfurt/MZ. - Da der zweifache Familienvater (Sohn Tom, 18, Tochter Lilli, elf) außerdem noch ein Institut für Sportpsychologie  und mentales Coaching in Schwetzingen nahe Heidelberg leitet, entschied er sich nun, kürzer zu treten und kündigte in Hoffenheim. „Ich hatte zuletzt eine Sieben-Tage-Woche und außerdem an sieben Tagen auch abends noch zu tun, das ist auf Dauer zu viel“, sagt Hermann, „ich möchte auch mal wieder auf einem Elternabend meiner Tochter dabei sein.“ Das muss indes noch etwas warten: Hermann ist nämlich zuversichtlich, dass Deutschland bei der WM weit kommt.

 

Herr Hermann, sind Sie zufrieden mit dem Teamhotel hier in Südafrika?

Hermann: Ja, es passt alles. Sehr schön hier.

Es gibt zwei Komplexe: Das neue Grand Hotel mit fünf Sternen, hauptsächlich für die Spieler,  und einen älteren Bau  mit nur vier Sternen. Wo sind Sie untergebracht? 

Hermann:Ich habe ein Arbeitszimmer im neuen Hauptgebäude und ein Schlafzimmer im Altbau.

Die Spieler haben 62 Quadratmeter Suiten. Was haben Sie?

Hermann: Vielleicht habe ich 39 Quadratmeter (lacht). Jedenfalls ist es ein wunderschönes Zimmer.

Ist das Arbeitszimmer auch wunderschön?

Hermann: Na ja, da steht ein Tisch drin und ein paar Stühle.  

Haben Sie daran mitgewirkt, die Mannschaft im Vorfeld eigens auf die besonderen Umstände Afrika vorzubereiten?

Hermann: Nur indirekt. Hier wird es ja früh dunkel und es gibt weniger Abwechslung als bei den letzten großen Turnieren. Da haben wir einiges in petto an Ablenkungsmöglichkeiten. Man kann nicht den ganzen Tag nur an Fußball denken.

Was haben Sie in petto?

Hermann: Kann ich nicht verraten. Es soll ja auch für die Spieler dann eine Überraschung werden.

Haben Sie schon Überraschungen erlebt?

Hermann: Wir wurden sehr, sehr herzlich willkommen geheißen. Die Spieler haben dabei fotografiert, so beeindruckt waren sie. Wir haben später erfahren, dass die Hotelbediensteten schon eine Stunde vorher getanzt und Musik gemacht hatten.

Nur hundert Meter die Straße hinunter findet sich ein Schrottplatz. Menschen aus einfachsten Verhältnissen stehen an der Straße und hoffen, dass sie mitgenommen werden. Ist die Armut, sind die zwei Welten Südafrika ein Thema in der Mannschaft?

Hermann: Ja, das habe ich schon auf der Busfahrt zum Hotel gespürt. Die Spieler haben einige  Fragen gestellt, sie sind sehr interessiert an diesem Land.

Wie sehr ist die Gefahr des Lagerkollers ein Thema?

Hermann: Ich habe in den fünf Jahren DFB nie einen Lagerkoller in dem Sinne erlebt, dass die Laune tief in den Keller ging und alle aggressiv wurden. Vielleicht mal die Situation, dass man gespürt hat: Wir sind nicht mehr ganz so im Fluss, da müssen wir gegensteuern und benötigen einen Input.

Einen Input?

Hermann: Ja, eine Unterbrechung des gewohnten Rhythmus’. Da gibt es viele Möglichkeiten. Ein ganz einfaches Beispiel wäre, statt einer Trainingseinheit ein Tischtennisturnier. Aber natürlich nur, wenn es nicht die Vorbereitung auf das nächste Spiel stört.

Und dann gewinnt immer Philipp Lahm?

Hermann: Man kann ja auch ein Doppelturnier draus machen, dann ist es noch verbindender. Wir haben eine ganze Liste vorbereitet. Und die Spieler kommen auch selbst mit Vorschlägen.

Bei der EM 2008 hat es im Tessin nach der Vorrunden-Niederlage gegen Kroatien aber doch durchaus einen Lagerkoller gegeben. Die Familien und Freundinnen waren da, laissez-faire am Swimmingpool, was vor allem den Platzhirschen Frings und Ballack nicht gefallen hat in dieser Situation. Haben die Beiden nicht recht gehabt?

Hermann: Das war aber kein Lagerkoller, sondern es gab Unstimmigkeiten in dem Punkt. Die Mannschaft hat sich dann selbst organisiert getroffen und sehr offen, klar und ausführlich ausgetauscht. Dass Frauen und Kinder kurzzeitig nach ausgewählten Spielen ins Hotel kommen durften, war eine Tradition aus 2006. Da hat es gar niemanden gestört.

Wie unterschiedlich sind die deutschen Mannschaften von 2006, 2008 und 2010?

Hermann: (lange Pause) Das ist aber schwer.

Anders gefragt: Wie hat sich die Hierarchie verändert?

Hermann: 2006 war von der Hierarchie her eine besondere Situation, da Michael Ballack zunächst noch verletzt war und auch andere Spieler informell – auch aufgrund starker Leistungen - während des Turniers Führungsrollen übernommen haben.  2008 war Michael Ballack der Kapitän, der vorne weg ging, der auch nach außen hin für die Mannschaft stand. 2010 steht jetzt gerade erst an, aber es erscheint mir so, dass die Idee von Joachim Löw, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, funktioniert. Philipp Lahm als Primus inter Pares und alle Mitglieder des Spielerrats – das wirkt stabil und breit aufgestellt.

Wir stellen es uns so vor: Wenn 2008 ein Fehlpass gespielt wurde, hieß es durchaus auch mal lauter: „Was spielst du denn da für einen Scheiß?“ Wenn 2010 einer einen  Fehlpass spielt,  wird er aufgemuntert nach dem Motto: „Hey, kann passieren, halb so wild.“

Hermann: Veräppeln Sie es bitte nicht. Es gibt hier keine Form der weichgespülten Führung. Wir haben  über viele Jahre auf höchster Ebene erfolgreiche Spieler dabei, die ganz genau wissen, dass Fußball ein tougher Sport ist und die entsprechend einstecken und austeilen. Zum Fußball gehört auch das aggressive Element. Das haben die Spieler drin, sonst wären sie niemals so weit gekommen, und trotzdem sind es intelligente Leute, die zwischen der Sprache auf dem Platz und jener abseits des Platzes unterscheiden können.

Sie selbst wirken wie der freundlichste und einfühlsamste Mensch, den man sich auf den ersten und auch auf den zweiten Blick so vorstellen kann. Können Sie auch mal hart zu den Spielern sein?

Hermann: In der Rolle bin ich nicht. Eher in der Rolle des Mediators. Klare Kritik kommt nicht von mir, und ich finde auch, da würde ich mich zu wichtig nehmen. Wir haben hier eine sehr klare Hierarchie, wer was zu sagen hat. Das ist auch gut so. Jogi Löw ist eine sehr konsequente Führungsperson.

Die der Mannschaft aber fehlt.

Hermann: Von wegen – Sie täuschen sich! Das ist hier vorhanden. Sonst wäre es gar nicht möglich, hier Erfolg zu haben.

Philipp Lahm hat schon seit geraumer Zeit deutlich gemacht, dass er sich die Rolle als Kapitän zutraut. Trauen Sie sie ihm auch zu?

Hermann: Absolut! Ich sehr überhaupt keine Gefahr, dass er das nicht könnte.   

Er ist erst 26, furchtbar jung für einen Nationalmannschafts-Kapitän.

Hermann: Ja, aber er ist auch sehr klar, sehr strukturiert und sehr erfahren. Er kann nach außen und innen sehr gut kommunizieren. Zusammen mit Basti Schweinsteiger und dem Spielerrat (Mertesacker, Klose, Friedrich, die Red.) ist das eine bemerkenswerte Kraft, die von dort auf die Mannschaft ausstrahlt.

Sind die Ersatzspieler wichtig?

Hermann: Sie können eventuell sogar die entscheidenden Spieler sein.

Weil Sie leistungshemmend auf die Stammkräfte wirken können, wenn sie ihren Frust allzu sehr ausleben?

Hermann: Das gegebenenfalls auch. Bedeutsamer ist aber ein etwas anderes: Ersatzspieler müssen eventuell genau zum entscheidenden Zeitpunkt reinkommen und ohne größere Anlaufzeit oder aktuelle Spielerfahrung ihre beste Leistung abrufen – zum Beispiel weil sich jemand verletzt hat. Hohe Wertschätzung, wie sie der Bundestrainer gibt, ist nicht nur für die erste Elf deshalb sehr wichtig.

Joachim Löw wirkt erstaunlich entspannt vor seiner ersten Weltmeisterschaft als Cheftrainer. Hat Löw eine wunderbare Fassade aufgebaut oder ist der wirklich so lässig momentan?

Hermann: Ich möchte mal manch anderen Trainer erleben, der solche Ausfälle vor einem solchen Turnier hinnehmen muss. Die allermeisten würden jetzt schon nach Ausreden suchen oder in Aktionismus verfallen. Jogi Löw dagegen verfolgt klar weiter seine Linie. Ich kann ihm dafür nur meine Hochachtung aussprechen. Das ist schon erste Sahne. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Keine Fassade.

Und sie trauen auch diesem jungen Kader zu, mental stark genug zu sein, um sehr weit zu kommen?

Hermann: Ein klares Ja.

Per Mertesacker glaubt, die Unbekümmertheit vieler Spieler könne da hilfreich sein, er persönlich spüre dagegen seine gestiegene Verantwortung. Hat er Recht?

Hermann: Das Turnier hat natürlich zu viele starke Teilnehmer, als dass man nur mit Unbekümmertheit  zum Erfolg kommen kann. Einzelnen jungen Spielern kann es aber helfen, hier ihre Leistung abzurufen. Und was ihn selbst angeht: Als Mitglied im Mannschaftsrat merkt er natürlich, dass er über seine Rolle als Innenverteidiger hinaus, mehr Gesamtverantwortung trägt.

Ist der junge Torwart Manuel Neuer im Herauslaufen mitunter auch zu unbekümmert?

Hermann: Nein, das ist sein Spielstil.

Kann er Fehler aushalten?

Hermann: Er hat die U-21-EM im vergangenen Jahr fehlerlos gespielt. Er kann sich unglaublich gut konzentrieren. Mir ist bei ihm überhaupt nicht bange.  

Wie wichtig ist der WM-Start gegen Australien?

Hermann: Sehr wichtig, auch wenn noch nicht gleich alles klappen kann. Die Bedeutung lässt sich am besten mit dem etwas sperrigen psychologischen  Begriff der ,teaminternen Selbstwirksamkeitserwartung’ erläutern.

Klingt kompliziert.

Hermann: Heißt aber im Grunde nur: Die Mannschaft kann sich darauf verlassen, dass sie das umsetzen kann, was sie umsetzen möchte. Das wird beim ersten Auftritt hier in Südafrika natürlich besonders genährt. Und dafür war auch das letzte Vorbereitungsspiel beim 3:1 nach 0:1-Rückstand gegen Bosnien schon wichtig.