Hamburg Hamburg: Auf den Spuren des Kicker-Idols Uwe Seeler

Hamburg/dpa. - Grauer Beton beherrscht die großzügigeApartmentanlage in Hamburgs feinerem Stadtteil Rotherbaum. Zwischenden schnörkellosen Fassaden hallen nur die eigenen Schritte wider.Wie ein versteckter Hinweis der Geschichte wirkt ein achtlos auf demgetrimmten Rasen liegen gelassener Ball: Vor einem halben Jahrhundertfeuerten hier zehntausende Fußballfans ihren HSV an. Uwe Seelerschoss an diesem Ort einen Großteil seiner Tore für die «Rothosen».Als Erinnerung an die alte Spielstätte soll an dieser Stellerechtzeitig zur Fußball-Weltmeisterschaft ein Denkmal enthüllt werden.
Dieses Denkmal wird auch Wegmarke einer vom HSV-Museum gemeinsammit einem Stadtrundfahrtunternehmen organisierten Sightseeing-Toursein. Auf dem Programm stehen neben einigen üblichenSehenswürdigkeiten auch Orte, an denen Fußballgeschichte geschriebenwurde. «Dazu gehört zum Beispiel die Moorweide», sagt der Leiter desHSV-Museums, Dirk Mansen. Wo heute Studenten auf Tore schießen, derenPfosten durch aufgetürmte Jacken oder Rucksäcke angedeutet werden,trug von 1881 an der Anglo-American Football-Club seine Spiele aus.Dessen Art Fußball zu spielen, ähnelte jedoch eher dem Rugby.
«Viele Orte, an denen Fußballgeschichte geschrieben wurde, gibt esin Hamburg ja nicht mehr», bedauert Kicker-Idol Uwe Seeler. Aber dieStadien von Altona 93 und Victoria könne man sich schon ansehen. InAltona wurde 1903 das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaftausgetragen - der VfB Leipzig schlug DFC Prag mit 7:2. Altona 93erreichte im gleichen Jahr das Halbfinale der Meisterschaft. DasStadion auf dem «Exerzierplatz», auf dem damals gespielt wurde, istallerdings einem Gewerbegebiet gewichen.
Der heute von Altona 93 verwendete Platz wurde 1921 eingeweiht -damals mit fast 30 000 Plätzen eines der größten StadienNorddeutschlands. Seit 1944 heißt die Spielstätte nach dembekanntesten Spieler des Klubs Adolf-Jäger-Kampfbahn. Der Stürmerbrachte es auf 18 Länderspiele. So ist auch das «neue» Stadion einhistorischer Ort.
Das gilt in jedem Fall auch für das Victoria-Stadion im StadtteilHoheluft. «Hier steht eine der ältesten HolztribünenNorddeutschlands», sagt Werner Skrentny, Journalist und Buchautor ausHamburg. Viel wichtiger noch: 1911 wurde hier das erste Länderspielin Hamburg ausgetragen. Deutschland verlor vor 7000 Zuschauern 1:3gegen Schweden. Auch die Gebrüder Seeler, in der Nachbarschaftaufgewachsen, schnürten hier als junge Bengels ihre Fußballstiefel.
Auf der Sportanlage befindet sich auch eine Gaststätte, in derFußball-Live-Übertragungen zu sehen sind. Das ist auch in zahllosenanderen Kneipen und Restaurants der Fall. Zentraler Anlaufpunktwährend der WM dürfte das Heiligengeistfeld sein, auf dem sonst der«Hamburger Dom» zu finden ist. In direkter Nachbarschaft zumMillerntor - der Heimat des FC St. Pauli - soll dort während desgesamten Turniers das «Fan Fest» gefeiert werden.
«Wahrscheinlich haben wir die größte Leinwand der Republik», sagtGuido Neumann vom WM-Team der Stadt Hamburg. Bis zu 50 000 Fanswerden hier täglich erwartet. Gefeiert wird aber auch an denLandungsbrücken und rund um die Alster.
Die erste TV-Übertragung eines Fußballspiels nach dem Krieg zeigteim Jahr 1952 die Partie HSV gegen Altona 93. Die «Rothosen» gewannenmit 4:3. Doch nicht immer war der HSV fußballerisch die beherrschendeKraft in der Hansestadt: «In den dreißiger Jahren war der EimsbüttlerTurnverband dominierend», erzählt Werner Skrentny, der mit derRecherche für das HSV-Museum betraut gewesen ist. Der ETV war auchder Klub des Literaturgelehrten Walter Jens. Der sagte einmal, erwerde den Sturm seines Vereins noch aufzählen können, wenn er denletzten Goethe-Vers vergessen habe.
Ein Muss für jeden Fußball-Fan, der Hamburg besucht, ist eineVisite im HSV-Museum direkt im Stadion. Hier bekommt man einenEindruck davon, wie es damals am Rothenbaum oder später im Volksparkzugegangen ist: Fotos, Eintrittskarten, Bilder fürs Sammelalbum mitdem Konterfei Uwe Seelers, die Pläne für das erste Vereinshaus, einSpind vom Trainingsgelände in Ochsenzoll, auf dem sich FranzBeckenbauer mit Filzstiftkritzeleien verewigt hat und die gewonnenenPokale - mit solchen Exponaten macht das Museum Geschichte greifbar.
Ob das Museum während des WM-Turniers besichtigt werden kann,stand zuletzt noch nicht fest. Die FIFA stört sich an denWerbeschriften, die zum Beispiel auf ausgestellten Trikots zu sehensind. Die Rundfahrten soll es laut Dirk Mansen auf jeden Fall geben.Ausgeschlossen sind jedoch Stadionführungen in der AOL-Arena währenddes Turniers - «aus Sicherheitsgründen», wie Mansen erklärt. Auch dasverlange die FIFA so.
Eine Alternative zum Besuch im HSV-Museum sind zwei Ausstellungenim Hamburger Rathaus und im Museum für Völkerkunde. Letzteres stehtunweit des ehemaligen Rothenbaumstadions und an der Stelle einesfrüheren Fußballplatzes. «Wir versuchen, die Ausstellungsfläche einemStadion nachzuempfinden», sagt Broder Trede, der zumAusstellungs-Team gehört. Es hat Exponate aus aller Welt gesammelt.So wird es Leihgaben aus dem englischen Fußballmuseum in Prestongeben. «Wir haben aber auch Stücke aus Mexiko oder Polynesien da.»Ein Höhepunkt dürfte die Kopie des ersten WM-Pokals aus Uruguay sein.
Im Rathaus wird vom 6. bis 23. Juni die Foto-Schau «Ein Ort derLeidenschaften. 80 Jahre Stadion im Volkspark Altona» zu sehen sein.Die Aufnahmen stammen aus dem Fundus von Werner Skrentny: Gezeigtwerden sollen ihm zufolge rund 120 Bilder, die exemplarisch dieGeschichte der drei Stadien im Volkspark - Altonaer Stadion,Volksparkstation und AOL-Arena - darstellen.
Auch Fotos von Auftritten der Nationalmannschaft in Hamburg sinddabei. Die sind nicht immer gut ausgegangen: 1974 gab es bei der WMeine Niederlage gegen die Auswahl der DDR, 1988 schied man bei der EMim Halbfinale gegen die Niederlande aus. Hinterher nörgelten einigeSpieler über das angeblich etwas unterkühlte Publikum. Doch dass dieHanseaten durchaus feurige Anhänger sein können, beweisen sie bei denLigaspielen des HSV und des FC St. Pauli regelmäßig.