1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Geburtstag: Geburtstag: 30 Jahre «Polizeiruf 110»

Geburtstag Geburtstag: 30 Jahre «Polizeiruf 110»

Von Simona Block 22.06.2001, 14:39

Leipzig/dpa. - «Achtung, Achtung! Hier spricht die DeutscheVolkspolizei!» Seit 1971 war der Sonntagabend auch in der DDRKrimizeit: Die Ermittlungsgruppe Fuchs ging per «Polizeiruf 110» aufVerbrecherjagd. Wenn am Sonntag (24. Juni) Hauptkommissar HerbertSchmücke (Jaecki Schwarz) und sein Kollege Herbert Schneider(Wolfgang Winkler) in der 231. Episode «Kurschatten» ermitteln,feiert die Reihe ihren 30. Geburtstag. Sie ist eine der wenigen DDR-Fernseherfindungen, die die politische Wende überstanden und denSprung ins gesamtdeutsche Programm schafften. Grünes Licht für die am 27. Juni 1971 ausgestrahlte erste Folge,«Der Fall Lisa Murnau», gab Staatschef Erich Honecker persönlich:Acht Monate zuvor startete der ARD-Tatort mit «Taxi nach Leipzig» -der «Polizeiruf 110» sollte die Antwort zum verpönten Westkrimi sein.Es galt, das «grenzüberschreitende» Fernsehen zu unterbinden. Auseinseitiger Konkurrenz ist nun friedliche Koexistenz im Erstengeworden: «Tatort» und «Polizeiruf» laufen im Wechsel.

Beide Reihen werden von verschiedenen Sendeanstalten in Ost undWest produziert, mit entsprechenden Ermittlerteams und -figuren. Dieerste Truppe um Peter Borgelt (er starb 1993) als Oberleutnant Fuchsermittelte noch in Schwarzweiß. In 153 Fällen stand der «Polizeiruf»bis 1991 mit Einschaltquoten von im Durchschnitt über 50 Prozent anerster Stelle in der Publikumsgunst. «Er beschrieb eine Art von Leben- sehr gestellt, geschönt und fein gemacht», meinte Schwarz: EinSpiegel der DDR-Gesellschaft, der kriminelle Schattenseiten desArbeiter- und Bauernstaates fokussieren durfte.

Im Mittelpunkt stand die Frage nach dem Warum einer Tat. WährendEigenschaften wie Habgier, Egoismus und Verlogenheit überwogen,konnten gesellschaftliche Missstände nur dezent angedeutet werden.«Wir haben das gesellschaftliche Umfeld der Fälle wie ein Röntgenbilddurchleuchtet, realistische Details auf den Bildschirm geschmuggelt»,sagt Autor Eberhard Görner. Mord blieb die Ausnahme, und meist kamendie Opfer eher aus Versehen zu Tode. Dafür ging es um harmloseProbleme wie Arbeitsbummelei, Schlamperei am Arbeitsplatz, asozialesVerhalten wie Diebstahl, Erpressung, Betrug oder Jugendkriminalität.

Manchmal griffen die Autoren aber auch Konflikte auf, die sonst imDDR-Fernsehen selten oder überhaupt nicht gezeigt wurden: Selbstmord,Vergewaltigung, Alkoholismus, Kindesmissbrauch, Jugendkriminalität.«Es ging nicht um spektakuläre Fälle, um Morde, Hetzjagden, sondernum eine möglichst nahe Position zum wirklichen Leben», erinnert sichder frühere Vize-Chef des DDR-Fernsehens, Erich Selbmann. Die Arbeitvor und hinter der Kamera werden von der Obrigkeit überwacht In einemPunkt aber waren die Ost-Krimi-Macher forscher als ihre West-Kollegen: Leutnant Vera Arndt (Sigrid Göhler) war die ersteKriminalistin im deutschen Fernsehen.

In den 80er Jahren wird es lockerer im «Polizeiruf»: Der NeueAndreas Schmidt-Schaller darf als Kommissar Grawe die Haare längertragen, Zigarette rauchen und eine Familie haben. «Stück für Stückentwickelte sich die Figur zu einem, der auch mal widerspricht»,erinnert er sich. Die Veränderungen im «Polizeiruf» konnten nicht nurhinter den Mauern des Arbeiter- und Bauernstaates verfolgt werden:Die Krimiserie gehörten zu den Exportschlagern und Devisenbringern.Sie wurde in 35 Ländern sowie in den dritten Programmen im Westenausgestrahlt, unter anderem auch in Finnland, Spanien oder arabischenLändern im Kino gezeigt, erzählt Görner.