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Ende einer Ära Ende einer Ära: Die Audiocassette gehört zum alten Eisen

Von Arnd Petry 28.05.2003, 09:45
Geschrumpftes Sortiment - Cassettenhersteller Emtec Magnetics (früher BASF) hat nur noch Chrom- und Eisenbänder im Programm. (Foto: Emtec Magnetics/dpa)
Geschrumpftes Sortiment - Cassettenhersteller Emtec Magnetics (früher BASF) hat nur noch Chrom- und Eisenbänder im Programm. (Foto: Emtec Magnetics/dpa) Emtec Magnetics

Ludwigshafen/Frankfurt/Main/dpa. - In den Bestenlisten der HiFi-Magazine sind sie kaum mehr zu finden. Und wer heute im Geschäft noch nach einem Cassettendeck fragt, sollte besser den Mantelkragen hochziehen, die Sonnenbrille aufsetzen und sich vergewissern, dass keine Bekannten in der Nähe sind. Denn mit Ausnahme weniger Marktnischen sind Cassetten völlig out und ihre Käufer vermeintlich Ewiggestrige.

«Der Markt für Audiocassetten ist in den vergangenen Jahren eingebrochen», sagt Johannes Lerch, Sprecher von Emtec Magnetics in Ludwigshafen. Von gut 150 Millionen verkaufter Leercassetten wie im Nachwendedeutschland Anfang der neunziger Jahre können Hersteller wie Emtec Magnetics - vor Jahren aus der BASF hervorgegangen - heute nur noch träumen. Noch gerade 24 Millionen Stück hat die Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu) in Frankfurt im Jahr 2002 ermittelt. Für das laufende Jahr rechnet der Branchenverband seinem Sprecher Jochen Wiesinger zufolge mit einem weiteren Rückgang um etwa ein Drittel auf rund 17 Millionen Tonträger.

Das endgültige Aus für die Audiocassetten ist dennoch schwer absehbar. «Wir werden Cassetten so lange im Sortiment haben, wie der Markt es will», sagt Johannes Lerch. Von heute auf morgen werden die Cassettenhersteller ihre Fabriken nicht stilllegen müssen. Neben einer immer noch großen Nachfrage aus den Entwicklungsländern haben sich Lerch zufolge in Deutschland Nischenmärkte herausgebildet, auf denen Audiocassetten nach wie vor gefragt sind: «Die Zielgruppe ist jünger geworden und die Qualität der Bänder hat abgenommen», erläutert er.

Cassetten mit hochwertigen Magnetbändern, auf denen HiFi-Freaks einst ihre CDs kopierten, würden jedoch nicht mehr produziert. Musikliebhaber hätten mittlerweile digitale Aufzeichnungsgeräte in den Phonoschränken, im Auto und in der Tasche. Und auch Cassetten mit Chrombändern haben es Lerch zufolge zunehmend schwerer, Käufer zu finden. Gefragt seien Eisenbänder, die zwar mehr rauschen doch dafür billiger sind. Die Käufer sind Kinder oder Jugendliche, denen das Geld für digitale Geräte fehlt.

«Die Cassette ist ein konkurrenzlos günstiges Medium», erklärt Markus Nierhaus von Sony Deutschland in Köln. Seiner Einschätzung nach haben die Tonträger daher zumindest noch mittelfristig eine Zukunft. Walkman-Erfinder Sony hat deshalb auch noch den klassischen Cassetten-Walkman im Sortiment. «Das sind Einsteigerprodukte, die Eltern auch häufig ihren Kindern schenken.» Bei einem Anteil von 20 Prozent sind die einst einen neuen Lebensstil begründenden Walkman heute aber bei Sony nur noch ein tragbares Abspielgerät unter vielen. Eine Million Stück gehen nach Angaben der gfu in diesem Jahr in Deutschland über den Ladentisch - 1997 waren es noch drei Mal so viele.

Bei den stationären Abspielgeräten verlief die Entwicklung ähnlich: Statt 1,3 Millionen Cassettendecks im Jahr 1990 hat der Markt heute der gfu zufolge nur noch ein Volumen von rund 80 000 Stück. «Wir haben immer noch fünf Tapedecks im Angebot», sagt Sony-Sprecher Nierhaus. In die Entwicklung neuer Geräte stecke das Unternehmen allerdings keine Gelder mehr. Gleiches gelte für Autoradios: «Im Auto geht die Tendenz zu CD-Tunern», so Nierhaus.

Die bei Sony erhältlichen Cassettendecks sind daher auch die letzten ihrer Art. Sie stehen für ein bewährtes Medium, dessen Technologie seit Jahren ausgereift ist: Das derzeitige Topmodel beispielsweise, das KA6ES-Tapedeck, bietet für 1000 Euro mit seinem Drei-Motoren-Laufwerk, drei Tonköpfen, Dolby B-,C-,S- und HX-Pro-Rauschunterdrückung, Titelsuchlauf, Echtzeitzählwerk und weiteren Features Technologien, die Musikliebhaber schon vor mehr als zehn Jahren an den Cassettendecks ihrer HiFi-Anlage schätzten.

Mitbewerber Philips in Hamburg hat sich dagegen vom Audiotape fast völlig verabschiedet: «Das Thema Tapedeck ist durch. Von dem Zeitpunkt an, da die CD aufnehmen konnte, war das Ende der Cassetten absehbar», erklärt Philipssprecher Klaus Petri die Strategie des Unternehmens, das in den achtziger Jahren die ersten CD-Player auf den Markt brachte. Es gebe heute keine plausiblen Gründe mehr, noch Cassetten zu kaufen, so Petri. Und da tragbare CD-Spieler - von MP3- und Mini-Disk-Playern ganz zu schweigen - heute erschütterungsfrei laufen, spricht seiner Ansicht nach auch nichts mehr für einen Walkman.

Lediglich für ein Cassettenabspielgerät scheinen die Marketingstrategen des niederländischen Elektronikkonzerns auch in Zukunft noch gute Absatzchancen zu sehen: Es ist ein altehrwürdiger Cassettenrecorder mit eingebautem Lautsprecher und klappbarem Griff. Warum der im Sortiment überlebt hat, kann auch Klaus Petri anfangs nicht sagen. Schließlich findet er eine Erklärung: «Der hat große Laufwerkstasten mit Blindenschrift.»