EM-Qualifikation EM-Qualifikation: Von Europa lernen
BERLIN/MZ. - Es ist durchaus möglich, dass Bernd Storck, 47, der Fußball-Nationaltrainer von Kasachstan, bald zu einem Termin beim Verteidigungsminister der ehemaligen Sowjetrepublik einbestellt wird - zur kritischen Lagebesprechung. Adilbek Dschaksibekow heißt der mächtige Mann. Der kümmert sich nicht nur um die Sicherheit des riesigen Landes, Dschaksibekow ist auch der Präsident des kasachischen Fußball-Verbandes, dessen Nationalmannschaft derzeit lediglich Platz 126 der Weltrangliste einnimmt, einen Rang hinter Haiti und knapp vor Vietnam.
Dem Fußball-Präsidenten und Verteidigungsminister genügt diese Platzierung auf Dauer nicht, er möchte Erfolge sehen von seiner Nationalmannschaft. Die wird vom deutschen Fußballlehrer Bernd Storck trainiert, dessen Vita 171 Bundesligaspiele als Profi für Borussia Dortmund und den VfL Bochum aufweist und 13 Jahre die Rolle des integren Assistenten von Cheftrainer Jürgen Röber beim VfB Stuttgart, Hertha BSC, dem VfL Wolfsburg, Borussia Dortmund und bei Partizan Belgrad.
Der ewige Assistent
Am Freitagabend hat Kasachstan in der deutschen EM-Gruppe das wichtige Heimspiel gegen Belgien in Astana mit 0:2 (0:0) verloren und ist nun von der Zielsetzung des Herrn Dschaksibekow weit entfernt. Der Präsident, sein mächtiger Generalsekretär Saian Chamitschanow und die breite Öffentlichkeit des zentralasiatischen Landes haben nämlich "stets sehr hohe Erwartungen", sagt Bernd Storck, "Erwartungen, die oft nicht der Realität entsprechen." In der EM-Qualifikationsgruppe soll zumindest Aserbaidschan hinter Kasachstan landen. "Aus den vier Spielen im Herbst gegen die Türkei, Österreich, Belgien und Deutschland sollten wir unbedingt drei Punkte holen", sagt Storck.
Das ist inzwischen zu einer utopischen Angelegenheit geworden. Um dieses Vorhaben zu erreichen, müssten die Kasachen, die gegen Belgien wenigstens eine Halbzeit tapfer Gegenwehr leisteten, am Dienstag in der Hauptstadt Astana den WM-Dritten Deutschland bezwingen. Zuvor haben sie dreimal verloren: 0:3 gegen die Türkei, 0:2 in Österreich und 0:2 gegen Belgien. "Gegen die Belgier haben meine Leute das beste Spiel unter meiner Leitung gezeigt", sagt Storck. "Aber gegen Deutschland können wir nicht mithalten und nur lernen."
Storck, der mit Lebensgefährtin und Tochter in Berlin lebt, ist seit dem Sommer 2008 in Kasachstan tätig und fühlt sich mittlerweile in der Millionenstadt Almaty, die einst Alma-Ata hieß, sehr wohl. Almaty liegt im Süden des riesigen Landes knapp zwei Flugstunden von Astana entfernt. Die Kasachen suchten vor zwei Jahren zuerst einen Trainer für ihre U-21-Auswahl. Über eine Agentur kam der Kontakt zu Storck zustande, der das Leben als ewiger Assistenztrainer unbedingt gegen das eines verantwortlichen Coaches eintauschen wollte. In Deutschland fehlte ihm dafür die Lobby. "Die Kasachen wussten sehr viel über mich", erinnert sich Storck, "für die war ich mit meiner Bundesliga-Erfahrung ein sehr interessanter Mann. Wir waren uns schnell einig."
Storck gibt zu, dass er damals keine Ahnung von diesem fernen Land hatte. "Ich musste erstmal im Atlas nachschlagen, wo das überhaupt liegt und wie man dort hinkommt. Aber ich habe das Angebot als Chance angesehen und versuche so, Karriere zu machen." Neben der U 21 trainierte er zudem die Spitzenmannschaft FK Almaty und im Januar vorigen Jahres stieg er zum Nationaltrainer auf. Einen Klub coacht er nebenher seitdem nicht mehr.
Storck ist meist drei Wochen am Stück in Almaty, wo neben dem Fußballverband in der Nähe auch das moderne Leistungszentrum der Nationalmannschaft beheimatet ist. "Ich schaue mir viele Spiele in der Liga an", sagt er, "bin dann wieder vielleicht eine Woche in Berlin und fliege wieder rüber." Sieben Stunden dauert der Flug von Frankfurt (Main) nach Almaty. Dort lebt Storck in einem schönen 160 Quadratmeter großen Appartement. "Direkt hinter mir liegen die Berge, über 1 200 Meter hoch."
Seine Nationalspieler auszuwählen, ist keine leichte Sache für Storck. "Von den zwölf Klubs der ersten Liga haben höchstens vier Mannschaften deutsches Zweitliga-Niveau", sagt er, "die anderen könnten in der dritten Liga oder in der Regionalliga spielen. Pro Klub dürfen fünf Ausländer antreten und zwei U-21-Spieler müssen immer eingesetzt werden. Mir bleiben also pro Team vielleicht vier Leute als Kandidaten für die Nationalelf." Während der Lehrgänge und bei den Spielen ist Storcks Assistenztrainer Grigori Babaian sein wichtigster Mann. "Der war acht Jahre in Deutschland, ist mein Dolmetscher und versteht viel vom Fußball, weil er selbst Nationalspieler für Kasachstan war." Russisch oder gar Kasachisch hat Storck nie gelernt. Das größte Problem sei der mangelhafte Fitnesszustand der Spieler. "Kondition und Schnelligkeit sind unbedingt zu verbessern, aber die Spieler besitzen eine sehr gute Einstellung, sind lernbegierig und es macht Spaß, mit ihnen zu arbeiten."
Unterstützung von Holger Fach
Ein wenig Unterstützung erfährt Storck nun auch vom ehemaligen Bundesligaspieler und -trainer Holger Fach, der das Team von Lok Astana übernommen hat, dem Meisterschaftszweiten der letzten Saison. Noch vor einem Jahr hatte keiner der Erstligatrainer den höchsten Trainerschein, jetzt aber ist diese Lizenz Voraussetzung, um einen Klub der Premier League zu führen. Dort kommen im Schnitt nur 2 000 bis 3 000 Zuschauer.
Bernd Storck hat einen Vertrag bis Ende 2010 mit einer Option auf Verlängerung. Er plant sehr langfristig und will eine junge Mannschaft aufbauen. "2016, bei der Europameisterschaft in Frankreich, sollte die vielleicht dabei sein", sagt er. Das sei seine Vision.
Als Kasachstan, das einst zur UdSSR gehörte, 1991 selbstständig wurde, war der Fußballverband Mitglied der Asiatischen Föderation (AFC). Aber 2002 stellte der Verband den Antrag, in die Europäische Fußball-Union (Uefa) aufgenommen zu werden. "Dort zu einem großen Turnier zu gelangen, ist zwar schwieriger als in Asien", weiß Storck, "aber die Kasachen wollen von Europa lernen und ihre Klubs in den Europacup bringen."
Ob Storck nach dem Spiel gegen Deutschland zum Fußballverband einbestellt wird, ist ungewiss. Der Trainer hofft, dass die Oberen weiter Vertrauen zu ihm haben. Für Dezember sind eigentlich Verhandlungen über seine Vertragsverlängerung geplant.