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Eisenach Eisenach: Frau Sunna jagt den Winter

Von Kristin Kaiser 26.02.2004, 18:39

Halle/MZ. - Wenn draußen noch eisige Kälte die Landschaft erstarren lässt, sitzt Hildegard Stein drinnen und bastelt am Frühling. Vier Tage die Woche, immer zwei Stunden lang. Von Januar bis März, schon seit 46 Jahren. Wie viele Blüten die heute 68-Jährige schon aus Krepp-Papier gedreht hat, weiß sie nicht. Jedes Jahr müssen jedenfalls rund 400 000 fertig sein, zwei Dutzend Frauen helfen mit. Denn es soll festlich aussehen in Eisenach zum Sommergewinn. Wie anno dazumal, als es noch keine Plastikblüten gab und echte Blumen zu kostbar waren. Einige Blüten werden auch das Haus der Familie Stein am Ehrensteig in der Weststadt zieren, wenn der Festumzug dort vorbei zieht: 2 000 Menschen, 35 Pferdewagen, ein Dutzend Kapellen.

Die Eisenacher vertreiben den Winter mit viel Getöse. Vor allem im süddeutschen Raum ist es noch immer weit verbreitet, zu Frühlingsbeginn Strohpuppen zu verbrennen. Nirgends hat sich jedoch aus diesem alten Brauch ein so großes Frühlingsfest wie in Eisenach entwickelt. Höhepunkt des Sommergewinns ist heute das Streitgespräch auf dem Markt zwischen Sommer und Winter, bei dem Frau Sunna dem "kalten Gsell" mit einem "Feuerbrand" zu Leibe rückt.

Warum der Sommer in Eisenach schon im Frühling seinen großen Auftritt hat? "Der Brauch, den Winter als Strohpuppe zu verbrennen, stammt aus einer Zeit, als die Leute nur zwischen Sommer und Winter unterschieden", erklärt Sommergewinns-Zunftmeister Peter Apel. Erster Tag eines neuen Jahres war für sie der 25. März, an dem Tag habe man den Winter austreiben und den Sommer gewinnen wollen. Peter Apel hat Schriftstücke, die belegen, dass es diesen Brauch schon im 13. Jahrhundert in Eisenach gab. Später wurde das Sommer-Gewinnen auf den 3. Sonntag vor Ostern verlegt. Bei diesem Termin ist es geblieben. Den großen Festumzug gibt es erst seit 1897. Natürlich spielt bei den Themenwagen der Eisenacher Automobilbau eine Rolle, ebenso die Wartburg. Der wohl berühmteste Sohn der Wartburg-Stadt ist Johann Sebastian Bach. Geboren in Eisenach. Die stellte 132 Jahre den Organisten der Georgenkirche. Noch heute lässt sich auf den Spuren Bachs die Stadt durchstreifen, die auch das älteste Bach-Museum der Welt beherbergt. Weil die Eisenacher in diesem Jahr "500 Jahre Bachfamilie" feiern, haben die Männer der Sommergewinnszunft auch einen Festwagen gezimmert, auf der Mitglieder der Musikerfamilie Platz nehmen werden. Hauptthema jedoch ist die Geschichte des 800 Jahre alten Ehrensteiges. Bis 1850 war der "Stiegk" ein selbstständiger Ort. Im Mittelalter hatten sich hier Leute angesiedelt, die ihr Brot als Fronknechte auf der Wartburg verdienen mussten. "Die Stiegker hatten viel geklaut, sie waren halt arme Hunde", erklärt Zunftmitglied Karl-Heinz Fink lächelnd. Der Kerkerwagen für den großen Festumzug ist schon gezimmert.

Ehrensache, dass auch in dem bis heute sehr traditionsbewussten Viertel jedes Haus am 20. März geschmückt ist. Meist mit den Symbolen des Eisenacher Frühlings: dem Ei als Symbol der Fruchtbarkeit, dem Hahn als Verkünder des Lichts und der Brezel als Symbol für immer wiederkehrendes Leben. Auch bei Hildegard Stein dürfen Ei, Hahn und Brezel nicht fehlen. Doch bastelt sie die - im Gegensatz zu den Blüten - nicht jedes Jahr neu.