Ein Jahr vor WM-Anpfiff Ein Jahr vor WM-Anpfiff: Deutschland sieht sich für das Milliarden-Spiel gerüstet

Hamburg/dpa. - Der Chef des Fußball-WeltverbandesFIFA bescheinigt dem Gastgeber «hervorragende Arbeit» und erwartetein «ganz außergewöhnliches Fußball-Fest».
Doch ob die hohen Erwartungen in die WM-Tage vom 9. Juni bis 9.Juli 2006 auch erfüllt werden können, muss sich erst erweisen. Dasvorhersehbar größte Ereignis in Deutschland in den ersten Jahrzehntendes neuen Jahrhunderts fordert das Land mit seinen Menschen undMöglichkeiten enorm heraus und beinhaltet unkalkulierbare Risiken.Die bisher umfassendste Sicherheitsoperation soll die WM vorTerroristen und Hooligans schützen. Stimmung und Atmosphäre sind vomAbschneiden der deutschen Nationalmannschaft wesentlich abhängig. «ZuGast bei Freunden.» Dieses anspruchsvolle, vom Gastgeber selbstgegebene Motto setzt einen hohen Maßstab.
Wie selten zuvor haben bisher Sport und Politik beim ProjektFußball-WM Hand in Hand gearbeitet. Das begann mit dem Einsatz vonBundeskanzler Gerhard Schröder als großer Förderer in derBewerbungsphase. Das setzte sich fort über Schily als den großenPaten der WM in der Bundesregierung. Bayerns Ministerpräsident EdmundStoiber steht für die Bereitschaft der Bundesländer, dieses über die12 WM-Städte verteilte dezentrale Großereignis durch massiveUnterstützung zu einem Erfolg zu führen.
Diese Kooperation ist eine wesentliche Voraussetung dafür, dassder «Organisations-Weltmeister» mit Zuversicht in das letzteVorbereitungsjahr gehen kann. Das bereits 1999 begonnene, 4,6Milliarden teure Infrastrukturprogramm soll die Verkehrsströmebeschleunigen, zumindest aber vor einem Infarkt bewahren. EineMillion der rund drei Millionen Stadionbesucher werden aus demAusland kommen. Dazu werden Hunderttausende Fans aus denNachbarländern erwartet, die ohne Karten in das Gastgeberlandeinreisen wollen.
12 Stadien sind für 1,5 Milliarden Euro auf WM-Niveau getrimmtworden - Fußball-Tempel, die den Zuschauern auf Dauer hohen Komfortbieten. Party-Meilen als Parallel-Arenen mit TV-Großleinwänden sollenjene Fans aufnehmen und entschädigen, die nicht in den Besitz vonTickets kommen können. Ein aufwendiges, mit 30 Millionen Eurogefördertes Kulturprogramm soll dafür sorgen, dass Deutschland «vor,während und nach dem Turnier zur Bühne für ein faszinierendesProgramm der Kultur wird». So sagt es Schily.
Mit gemischten Gefühlen hat die OK-Spitze um Beckenbauerregistriert, dass die WM 2006 durch die um ein Jahr vorgezogeneBundestagswahl etwas entpolitisiert worden ist. ParteipolitischesGerangel im Zusammenhang mit der WM ist unwahrscheinlicher geworden.Zugleich besteht für das Organisationskomitee die Gefahr, mitSchröder und seinem Innenminister die größten politischen Förderer zuverlieren. Wann immer der Staat gefordert war, hatte Beckenbauergeäußert: «Der Otto Schily macht das schon.»
Dass die zweite WM in Deutschland nach 1974 auch zu einemMilliarden-Geschäft wird, versteht sich von selbst.Wirtschaftsexperten erwarten durch WM-bedingte Ausgaben eineSteigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von bis zu einem Prozent.Allein die Tourismusindustrie kalkuliert mit fünf Millionenzusätzlicher Übernachtungen. Die deutschen WM-Organisatoren planenmit einem Etat von 430 Millionen Euro und hoffen, dass am Endewenigstens eine schwarze Null steht. Der WM-Besitzer FIFA hathingegen mit garantierten Einnahmen von 1,6 Milliarden Euro aus TV-und Sponsorengeschäft sein Schäfchen längst ins Trockene gebracht.
Die Zahl markiert die Gefahr einer Überkommerzialisierung der WM.Mit fast 900 000 von insgesamt 2,9 Millionen Karten hat die FIFA soviel Tickets wie nie für Hospitality- und Sponsorenprogrammeabgezweigt. Das macht das Hochfest des Fußballs auch zu einerPrivilegien-WM. Dabei hat das deutsche Organisationskomitee Ärgeresnoch abgewendet. «Das lassen wir uns nicht gefallen, ich sowiesonicht. Dann höre ich lieber gleich auf», hatte sich Beckenbauer imMai 2003 empört, als es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit derBlatter-FIFA um Hospitality-Programme und Eintrittspreise gekommenwar.
1972 hatte Deutschland der Welt in München «heitere Spiele»versprochen. Das Versprechen erfüllte sich bis zu jenem 5. September,als arabische Terroristen unter dem Team Israels im Olympischen Dorf=ein Blutbad anrichteten. Seit dem 11. September 2001 steht jedeglobal bedeutsame Massenveranstaltung unter einer besonderenBedrohung. Mit dem von den Innenministern verabschiedeten NationalenSicherheitsplan unternehmen Bund und Länder eine enormeKraftanstrengung, um jede Art von Gewalt von der WM fern zu halten.
Mitspielen muss vor allem auch das Team von Jürgen Klinsmann.«Die Organisation kann noch so gut sein. Wenn die Ergebnisse nichtstimmen, hilft alles nichts», weiß Beckenbauer. Nach der Generalprobeim Juni mit dem Confederations Cup hat der Bundestrainer bis zur WMnoch bei elf Länderspiel-Tests Gelegenheit, seine Formation für dasEröffnungsspiel am 9. Juni 2006 in München zu finden.