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Die Vegetarierin und ein Huhn namens Rudi

Von MARKUS HUTH 20.01.2011, 20:51

MÄRKISCHE HÖHE/DAPD. - Die Schriftstellerin Karen Duve sitzt zusammen mit ihrem Huhn Rudi in ihrer Küche im brandenburgischen Ringenwalde, eine gute Autostunde von Berlin entfernt. Duve hat Rudi bei Recherchen zu ihrem neuen Buch "Anständig Essen - Ein Selbstversuch" das Leben gerettet. Recherchen, die nicht nur Rudis Weiterleben ermöglichten, sondern Duves Leben komplett umgekrempelt haben. "Das war wie in dem Film Matrix, als mir schlagartig klar wurde, dass die helle freundliche Supermarktwelt nur eine Illusion ist", sagt die 49-Jährige. Das Buch beschreibt ihren zehnmonatigen Weg vom Otto-Normal-Esser zur strengen Veganerin.

Durch ihre Arbeit wurde die Autorin zur Streiterin für den Tierschutz. "Niemand kann ernsthaft glauben, dass es mit rechten Dingen zugeht, wenn ein Huhn für 2,99 Euro aufgezogen wird", sagt Duve. Die Differenz zum eigentlichen Preis bezahlten das leidende Tier und der Verbraucher, der mit gesundheitlichen Konsequenzen rechnen müsse. Egal, ob Dioxinfunde in Eiern oder BSE-verseuchtes Rindfleisch, Futtermittel-Skandale seien keine Einzelfälle, sondern logische Folgen des Systems.

Im Hintergrund die Fleischlobby

"Selbst wenn sich Frau Duve erst seit Kurzem mit dem Thema beschäftigt, schlägt sie sich in der Diskussion sehr gut", findet Sebastian Zösch, Geschäftsführer des Vegetarierbunds Deutschland (Vebu). Vor dem Hintergrund des Dioxin-Skandals hätten sich die Medien die Schriftstellerin als Liebling auserkoren, selbst wenn es Sachbuchautoren gebe, die schon seit 20 Jahren auf die Thematik hinwiesen. Die Zahl der Vegetarier in Deutschland nehme jährlich um zehn Prozent zu, sagt Zösch.

Von der Politik erwartet Duve keine Hilfe, sie sieht deren "unheilvolle Beeinflussung durch die Fleischlobby". Wenn Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) eine Rede halte, "dann stehen die Lobbyisten im Hintergrund dicht an ihr dran, finden alles prima und klatschen", kritisiert die Autorin. "Schärfere Futtermittelkontrollen sind ein Witz, wenn es sich dabei um Eigenkontrollen handelt".

Die wirksamste Waffe des Verbrauchers sei der Verzicht. Eine Zeit lang lebte die Autorin sogar als Frutarierin und aß nur pflanzliche Produkte, die nicht den Tod ihrer Stammpflanze zur Folge haben, also vor allem Obst, Gemüsefrüchte oder Nüsse. "Schön war das nicht, das ist Verzicht ja nie. Manchmal fällt es mir heute noch schwer, auf Fleisch zu verzichten", gesteht Duve ein. Derweil läuft Huhn Rudi aufgeregt im Haus der Schriftstellerin umher, setzt sich und legt ein Ei. "Das passiert alle zwei Tage", freut sich Duve. An dem Oktobertag, an dem sie Rudi rettete, war sie zu Recherchezwecken mit radikalen Tierschützern auf einer Bio-Hühnerfarm in Mecklenburg-Vorpommern.

Kopfüber am Gitterrost

"Die wollten die schrecklichen Lebensbedingungen der Tiere dokumentieren", sagt die Autorin. Dort habe Rudi kopfüber an einem Bein an einem Gitterrost gehangen. Duve nahm die Henne mit nach Hause, wo sich das Federvieh gesundheitlich erholt.

Duve möchte ihre Leser aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger missionieren, wie sie sagt. "Wer mag schon, wenn man ihm vorschreibt, was er essen soll?" Stattdessen wolle sie einfach nur zeigen, unter welchen Bedingungen Fleisch in Deutschland produziert werde und wie es ihr selbst bei der Ernährungsumstellung ergangen sei. "Seine Schlüsse kann dann jeder selber ziehen."

Karen Duve: Anständig essen: Ein Selbstversuch. Galiani Verlag, Berlin, 335 Seiten, 19,95 Euro