Das Kreuzband-Podium
Schladming/mz. - Verzweiflung drohte sich breit zu machen zu Beginn. Als die Frauen gestern bei den alpinen Ski-Weltmeisterschaften auf ihre Abfahrtsstrecke gingen, wirkte alles eine halbe Stunde lang wie ein großes Missverständnis. Die Sonne setzte Schladmings Berg Planai in ein werbetaugliches Licht, die Bedingungen für ein spannendes Hochgeschwindigkeitsrennen schienen perfekt. Doch dann rasten so viele der ersten zehn Rennläuferinnen so ungestüm die Piste hinunter, als wäre Training zu dem Tempowettbewerb nicht obligatorisch.
Als Nummer drei stürzte zuerst die aus Österreich stammende Stefanie Moser, weil ihre Bindung brach. Sie räumte gleich zwei Zaunreihen ab. Die Deutsche Veronique Hronek havarierte als übernächste Starterin. Und mit der Nummer neun schien die Schweizerin Dominique Gisin das Spektakel noch übertrumpfen zu wollen, als sie sich wie eine bunte Kanonenkugel in die Werbebande katapultierte.
Spätestens da mussten die Krankenhäuser im Ort fürchten, die Kapazitäten könnten zu bescheiden berechnet sein für diesen Tag, und die Zuschauer mussten sich fragen, ob das Rennen bei den vielen Unterbrechungen überhaupt noch würde beendet werden können. "Mein lieber Mann", staunte auf der Tribüne Fußball-Ikone Franz Beckenbauer, dessen Berater Marcus Höfl bekanntlich verheiratet ist mit Maria Riesch. "Sich da runter zu trauen, ist eine große Leistung." Zum Glück erwiesen sich alle Befürchtungen in der Folge als überflüssig, weil von den Topläuferinnen nur noch die Italienerin Daniela Merighetti den Risikocharakter ihrer Sportart herausarbeitete.
Schwierige Bedingungen
Allerdings bekam die durch besonders eisigen Untergrund und den Wechsel von Licht und Schatten schwer zu bewältigende Abfahrt ihre standesgemäßen Siegerin. Die Französin Marion Rolland, die bei den Olympischen Spielen in Vancouver 2010 einigermaßen eilig bereits nach zwei Sekunden gestürzt war und sich das Kreuzband gerissen hatte, siegte vor der Italienerin Nadia Fanchini, die nach einem doppelten Kreuzbandriss in Vancouver fehlte und in Schladming nun erst ihre vierte Abfahrt nach der üblen Verletzung fuhr. Weil auch Maria Höfl-Riesch die Erfahrungen mit der schweren Knieverletzung kennt, prägte die Bronze-Gewinnerin den Titel für den Erfolg des Tragik-Trios: "das Kreuzband-Podium". Es habe "schon eine große Überwindung" gekostet, "auf der prügelharten Piste alles zu riskieren - wie Lindsey Vonn in St. Anton gesagt hat: Da brauchst du große Eier."
Österreicherinnen gehen leer aus
Während sie mit ihrer zweiten Medaille nach Gold in der Super-Kombination vor der Woche mit den technischen Wettbewerben ihr Team weitgehend vom Erfolgsdruck befreite, konnten Österreichs Starterinnen erneut nicht für Entspannung sorgen. Weil Andrea Fischbacher als beste Rennläuferin der Ausrichternation auf Rang acht endete, ist der Kummer groß. Nur einmal Bronze in fünf WM-Rennen ist schon schlimm, doch keine einzige Medaille in den spektakulärsten Rennen der WM, den Tempo-Wettbewerben, hat Österreich zuletzt 1987 in Crans-Montana betrauern müssen. "Es war ein verrücktes Rennen mit einem ziemlichen Favoritensterben", sagte Höfl-Riesch, "viele haben in dem anspruchsvollen Mittelteil sehr viel Zeit liegen lassen."
Den Österreichern hat sie nebenbei erfolgreich die Anti-Verkrampfungstaktik vorgeführt. Am Freitag nach ihrem Sieg in der Kombination feierte Höfl-Riesch bis weit in den nächsten Morgen. Und da sie erst irgendwann nach drei Uhr ins Bett gekommen war, pfiff sie gleich auch noch auf das Abfahrtstraining am Sonnabend. In der Pressekonferenz gestern dann erlaubte sie sich eine Lässigkeit, mit der nur die Allerbesten ungestraft durchkommen: Sie zog im warmen Raum ihre dicke Team-Daunenjacke aus und saß dann nur noch in einem schwarzen Oberteil da - ohne Logo der Verbandssponsoren. Nur auf dem Kopf trug sie noch ihre Werbeausstatter-Wollmütze.
Obwohl sie nach "den hohen Sprüngen mit den harten Landungen Probleme mit dem rechten Knie" hat, plant Riesch "in allen Wettbewerben zu starten". Grund zu größerer Sorge scheint nicht zu bestehen: Im Zielraum tanzte sie mit dem WM-Maskottchen Hopsi einigermaßen harmonisch nach der Siegerehrung einen Walzer.