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Bücherszene Bücherszene: Antiquariate im Wandel der Zeit

14.10.2002, 19:43

Frankfurt/Main/dpa. - Rund 81 500 Neuerscheinungen sind auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse vorgestellt worden. Manche davon werden schon bald in den Antiquariaten auftauchen, aber Läden für gebrauchte Bücher gibt es immer weniger: «Ausverkauft! Geschäftsaufgabe!» stand in den vergangenen Jahren an vielen Türen. Alte Bücher finden dennoch ihre Kunden, wenn auch auf anderen Wegen, berichtet die Branche. Statt staubige Regale zu durchforsten, suchen immer mehr Kunden vergriffene oder gebrauchte Bücher im Internet. Für den Antiquar an der Ecke ist das Netz Verheißung und Bedrohung zugleich.

«In weniger als zehn Jahren wird die Hälfte der Antiquariate in Deutschland optisch verschwinden», sagt der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Antiquare, Ulrich Hobbeling. Das bedeute nicht, dass die Händler die Segel streichen, betont der Antiquar, der in Münster seit 25 Jahren ein 90 Jahre altes Antiquariat betreibt. Die Geschäfte verlagerten sich nur in abgelegene Stadtteile mit günstigeren Ladenmieten - oder gleich ins Internet.

«Das Internet wird für die Antiquariate immer wichtiger», sagt auch Ilse Unruh, Geschäftsstellenleiterin der Arbeitsgemeinschaft Antiquariat im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, «wer früher ein vergriffenes Buch suchte, hatte keine Möglichkeit, zentral zu suchen.» Bei aktuellen Büchern gibt es das Verzeichnis Lieferbarer Bücher, bei antiquarischen Titeln gab es bisher keinen entsprechenden Katalog.

Ein Großteil der schätzungsweise 1200 bis 1500 deutschen Antiquariate hat sich inzwischen einer gemeinsamen Vertriebsplattform angeschlossen, dem Zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher (ZVAB) in Berlin. Sechs Jahre nach der Gründung umfasst es den Angaben zufolge 6,7 Millionen Titel. 1200 Antiquariate aus 20 Ländern stellen ihre Kataloge ein. Finanziert wird der Service über ein Gebührensystem: Der Händler zahlt entweder für jedes verkaufte Buch oder eine Pauschale für eingestelle Titel. Im Web kann der Käufer nicht nur Bücher finden, sondern auch deren Preise vergleichen.

Das ZVAB will den Ladengeschäften nicht Konkurrenz machen, im Gegenteil. Die Geschäftsführerin Anja Niet ist sicher: «Ohne das Netz gäbe es heute noch weniger Antiquariate.» Mit diesen Einnahmen bezahle mancher Händler seine Miete. Die zentrale Plattform ist nur eine Möglichkeit, die Kunden aus dem Netz zu bedienen, viele Antiquare pflegen zusätzlich eine eigene Homepage. Daneben beginnen sich auch reine Internet-Antiquariate zu etablieren. Diese virtuellen Geschäfte haben gar keinen Kundenkontakt mehr, sondern nur ein Lager und einen Rechner. Niet schätzt ihren Anteil auf immerhin 20 Prozent.

Das Internet hat Vorteile für Kunden und Händler, meint der Antiquar Hobbeling: Der Kunde habe Zugriff auf mehr Bücher, der Händler habe Zugriff auf mehr Kunden. Dennoch habe sich der Umsatz bisher nicht vergrößert. «Der Kuchen bleibt gleich groß», meint der Antiquar. Statistiken über Umsätze in Antiquariaten gibt es nicht. «Das ist eine scheue Branche», sagt Ilse Unruh, die als Chefredakteurin auch für das einzige deutsche Fachblatt verantwortlich zeichnet. Zu den 12 000 bis 15 000 Geschäften zählen traditionsreiche Händler mit weltweiten Verbindungen, Auktionshäuser, Buchhandlungen mit Second-Hand-Abteilung, Internethändler und «Privatleute, die zu viele Bücher haben», wie Unruh sagt. Antiquar ist kein geschützter Beruf.

Ähnlich heterogen ist das Angebot. Es reicht von wertvollen Erstausgaben, vergriffene Wissenschaftstitel über Mängelexemplare und Restauflagen bis zu Gebrauchtem für den Wühltisch. Der Preis richtet sich nach Seltenheit, Erhaltungszustand und Nachfrage der Bücher. Am besten gehen seit Jahren alte Kinderbücher, sagt Unruh, Sammler zahlten für Raritäten fast jeden Preis. Die ZVAB-Chefin Niet beobachtet ein wachsendes Interesse an Science-Fiction-Titeln aus Osteuropa und der DDR, dazu an alten Mathematikbüchern - vor allem Japaner seien darauf ganz wild.