Brigitte Reimann Brigitte Reimann: Nur einfach wirklich leben
Berlin/MZ. - Wie ein bunter wilder Vogel muss diese Frau gewirkt haben. Zumal im Realsozialismus, dort, wo er womöglich am tristesten war - in der betonstarren Retortenkommune Hoyerswerda. Dabei war sie durchaus eine Gläubige der vorgeblich guten Sache. Die Schrift-stellerin Brigitte Reimannn (1933-1973) diente zeitweise sogar als Aushängeschild sozialistischer Literatur ostdeutscher Prägung. Mit ihrer Erzählung "Ankunft im Alltag" hat sie schließlich einer ganzen Schreib-Kategorie den Namen geliehen: der so genannten Ankunftsliteratur, die sich in den 60er Jahren mit dem Zurechtfinden und Einrichten in dem nun mauerumschlossenen Land befasste.
Das alles weiß und kennt man hierzulande ebenso wie den nach ihrem Krebstod erschienenen fragmentarischen Liebes-, Lebens- und weitgehend auch Schlüsselroman der "Franziska Linkerhand". Ganz nah kam Brigitte Reimann der Leserschaft durch den posthum veröffentlichten Briefwechsel mit Christa Wolf und vor allem ihre bewegend ehrlichen Tagebücher.
Nun hat die Berliner Autorin Dorothea von Törne eine umfassende Biografie vorgelegt. "Einfach wirklich leben" - der Titel erfasst Anspruch und Tragik der Reimann gleichermaßen. Ein sorgfältig recherchiertes, materialreiches Buch, das kaum anders als mit atemloser Spannung zu lesen ist. Weil sich damit die Faszination des Authentischen ein weiteres Mal als unschlagbar erweist.
Was war das aber auch für ein Leben! Lebensgier und Exzentrik, Egoismus und Anlehnungsbedürfnis, Süchte und Ängste, Hysterie und Stärke. Diese Frau war mutig und moralisch, tabulos und maßlos zugleich. Freiheitsgierig und selbstbestimmt, definierte sich die scheinbar so Emanzipierte allerdings letztlich doch stets über Männer, suchte Bestätigung in immer neuen Affären. "Bin unschuldig wie alle Triebhaften", lautet denn auch ein Reimannscher Tagebuch-Eintrag nach einer der vielen Liebeseskapaden. Das mag so beiläufig, wie selbstironisch, dahin notiert sein und passt doch ganz gut zu diesem rahmensprengenden Lebenslauf überhaupt.
Den hat Dorothea von Törne mit sachlicher Sorgfalt und doch nicht allzu kühl distanziert aufgeschrieben. Sie kannte die Reimann nicht persönlich, wohl aber die Verhältnisse. Und das vor allem macht ihr Buch so besonders und aufschlussreich. Weil sie außer der eigentlichen Biografie Einblick gibt in einen speziellen Bereich des untergegangenen, gleichwohl noch lange nicht bewältigten Phänomens DDR. Anhand von Erlebnissen und Begegnungen wird auf sehr persönliche Weise erhellt, wie der Staat des instrumentalisierten Herrschaftswissens mit seinen Intellektuellen umgegangen ist, die er zu einer sozialen Kategorie verkleinerte, der "Intelligenz". Vor allem mit den Literaten. Deren er sich mit dem Zuckerbrot der Privilegien und der Peitsche wie etwa Nicht-Veröffentlichung zu bedienen suchte. Mit mehr oder minder Erfolg.
Natürlich hat auch das so kritische und bis zur Aufkündigung der Stasi-Verpflichtung mutige Nicht-SED-Mitglied Brigitte Reimann ganz selbstverständlich seinen "Ausweis" gezückt, den "vom ZK", der Türen öffnete und Schneisen schlug in der Mangelwirtschaft. Wie sie überhaupt verstand, die bestehenden Strukturen geschickt zu nutzen. Das verschweigt die Biografie keineswegs. Und richtet damit wie nebenbei die Sicht auf die wirklich machtausübenden Schadenstifter des Systems, denen die Fokussierung auf das Stigma "IM" auch heute noch immer so prima gelegen kommen muss. Den Funktionärsgenossen und Eiferern jeglicher Ebenen, die Parteidogmatismus und das vermeintliche Recht der "Sieger der Geschichte" als demagogisches Schild vor sich her trugen.