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Brasilien Brasilien: Wenn die Seleção spielt, steht alles still

Von Helmut Reuter 07.06.2010, 15:34

São Paulo/dpa. - Mit Vorrunde, Achtel-,Viertel-, Halbfinale und Endspiel sind es nur sieben Partien undkeiner zweifelt schon aus Nationalstolz daran, dass Brasilien siebenMal aufläuft. «Wenn die Seleção spielt, dann steht hier alles still»,sagt Ronildo, der Taxifahrer, der eigentlich - völlig untypisch füreinen Brasilianer - nicht viel vom Fußball hält, dann aber doch einehalbe Stunde leidenschaftlich über dieses Thema diskutiert.

Viele Firmen geben ihren Angestellten für die Spiele Brasiliensnachmittags frei, weil die Chefs genau wissen, dass an Arbeit nichtzu denken ist, wenn Luis Fabiano stürmt, Robinho dribbelt und Kakázaubert. Viele Balkone an den mehr als 20-stöckigen Wolkenkratzernin São Paulo sind mit Nationalflaggen ausstaffiert, Autos mitFähnchen bestückt und die Vorräte an Feuerwerkskörpern aufgefüllt.Seit Wochen flimmern in den brasilianischen Wohnzimmern Werbe-Spotsüber die Bildschirme, in denen Kreditkartenfirmen, Ministerien undGetränkekonzerne mit dem Mega-Event in Südafrika werben, bei demBrasilien seinen sechsten WM-Titel klar machen will.

«Brasilien gegen den Rest der Welt», wirbt die Biermarke Brahmamartialisch in einem Spot. Sie lässt die elf Spieler des fünfmaligenWeltmeisters, die «Guerreiros» (Krieger) der Seleção, aus einemTunnel auf den Rasen laufen, während aus dem anderen gleich dieSpieler aller anderen Nationen emporsteigen. Auch angesichts dieserbeeindruckenden Übermacht bleibt Luis Fabiano gelassen. Mit einemcoolen Wink fordert er seine Gegner zum Angriff auf.

Fußball ist in Brasilien wie in kaum einem anderen Land auchPolitik und so rief Präsident Luiz Inácio Lula da Silva seineLandsleute im Wahljahr 2010 auf, vereint und geschlossen hinter derSeleção zu stehen. «Wir sind ein Volk von 190 Millionen Trainern»,erklärte Lula die fußballerische Diskussionsfreude der Brasilianer.Keine Party, kein Kneipenbesuch kommt derzeit ohne das Thema WM ausund jede Entscheidung von Nationaltrainer Carlos Dunga wirddetailreich analysiert.

Eigentlich gilt Brasilien schon ohne WM als fußballverrückt. Wennin São Paulo die Clubs wie Corinthians, Palmeiras oder FC São Paulospielen, weiß man den Spielstand, ohne im Stadion zu sein oder vordem Fernseher zu sitzen: Jeder Treffer wird mit Raketen gefeiert.Hupkonzerte begleiten den Spielverlauf und Fans stürmen auf dieStraße oder auf die Balkone und brüllen sich bei einem Tor ihrerMannschaft die Freude aus dem Leib: «Gooooool!»

Wenn die WM am Freitag endlich beginnt, dann stimmt sich das Landnicht nur auf das Auftaktspiel der Seleção am 15. Juni gegenNordkorea ein. Die WM in Südafrika ist auch ein Warmlaufen auf die«Copa 2014», die in Brasilien stattfindet. Für die Brasilianer heißtes nach dem Finale am 11. Juli: «Nach der WM ist vor der WM.»