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Boxer-Geburtstag Boxer-Geburtstag: Ali wollte nur das rote Fahrrad zurück

Von Nikolaj Stobbe 16.01.2012, 13:30
US-Schwergewichtsboxer Muhammad Ali (l) trifft seinen Landsmann Joe Frazier mit einer kraftvollen Linken (Archivfoto vom 28.1.1974). Sie waren die Hauptdarsteller in den drei besten Schwergewichtskämpfen der Box-Geschichte, haben für unvergessliche Momente gesorgt, sind Legenden. (FOTO: DPA)
US-Schwergewichtsboxer Muhammad Ali (l) trifft seinen Landsmann Joe Frazier mit einer kraftvollen Linken (Archivfoto vom 28.1.1974). Sie waren die Hauptdarsteller in den drei besten Schwergewichtskämpfen der Box-Geschichte, haben für unvergessliche Momente gesorgt, sind Legenden. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/sid. - Der kleine Cassius Marcellus Clay heulte so laut, dass sich die Leute nach ihm umdrehten. Jemand hatte vor der Columbia-Halle in Louisville sein rotes Fahrrad gestohlen. Nun durchkämmte der Zwölfjährige wütend und verzweifelt die Anlage und wollte dem Dieb "den Arsch versohlen".

Im Keller traf er den Polizisten Joe Martin, der dort in seinem Gym Boxer trainierte. Martin riet dem Bengel, er solle erst kämpfen lernen, bevor er jemanden herausfordert. Cassius gehorchte - und die Karriere des größten Sportlers aller Zeiten begann.

Immer wieder musste Muhammad Ali später die Geschichte vom roten Fahrrad erzählen. Sie nimmt die Eigenschaften vorweg, die Ali zum dreimaligen Schwergewichts-Weltmeister, zum Popstar des Sports und zum unermüdlichen Kämpfer für Gerechtigkeit machten: Mut, Unbeugsamkeit und eine große Klappe. Am Dienstag (17.) feiert der "Größte" seinen 70. Geburtstag. Trotz großer gesundheitlicher Probleme ließ er es sich nicht nehmen, zum Auftakt der einwöchigen Feierlichkeiten am Samstag in seiner Heimatstadt Louisville persönlich zu erscheinen.

Gestützt von seiner Ehefrau Lonnie und seiner Schwägerin, schwer gezeichnet vom fortgeschrittenen Parkinson-Syndrom, stand der Jubilar im Muhammad-Ali-Center rund zwei Minuten lang an einer Brüstung oberhalb der rund 350 geladenen Gäste. Sie feierten ihren Champ mit "Ali, Ali"-Sprechchören und einem bewegenden "Happy Birthday"-Ständchen. Ali bedankte sich mit einem schwerfälligen Winken, sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt.

Das Benefiz-Dinner bildete den Startschuss für die einwöchige Geburtstagsparty für den dreimaligen Schwergewichts-Weltmeister unter dem Motto "Sieben Tage für sieben Jahrzehnte". Schon seine letzten Auftritte in der Öffentlichkeit hatten Anlass zu großer Sorge gegeben. Bei der Beerdigung seines Erzrivalen Joe Frazier im November musste er, schwer gezeichnet vom Parkinson-Syndrom, von Lonnie und Helfern auf dem Weg in die Kirche gestützt werden. Wenige Tage später brach er zusammen und musste im Krankenhaus behandelt werden. Den 70. Geburtstag werden Menschen auf der ganzen Welt zum Anlass nehmen, dem "Größten" noch Kraft für viele weitere Jahre zu wünschen.

Ali ist schon zu Lebzeiten eine Legende. Er schlug die härtesten Schlachten der Boxgeschichte und sagte die Runden seiner K.o.-Siege voraus. Das Internationalen Olympische Komitee (IOC) wählte ihn 1999 zum Sportler des Jahrhunderts. Sein Boxstil war einmalig, sein Motto lautete: "Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene." Leichtfüßig tänzelte er durch den Ring ("Ali Shuffle"), ließ aufreizend die Hände baumeln und wich den Schlägen mit nie gesehener Eleganz aus.

Ali genoss früh weltweiten Ruhm. Auch in Deutschland weckten Väter nachts ihre Söhne, um mit ihnen Ali zu sehen. Seine große Klappe machte ihn auch zum Liebling der Medien. "Ich bin der beste Kämpfer aller Zeiten. Und gerade erst 22. Ich muss der Größte sein. Ich bin der König der Welt. Ich bin schön", tönte er nach dem ersten WM-Sieg 1964 gegen Sonny Liston. Später meinte er: "Es ist schwierig, bescheiden zu sein, wenn man so großartig ist wie ich."

Trotz seiner Großspurigkeit wurde er auch außerhalb des Rings für Millionen zum Vorbild. Mit ungeheurem Charisma und großer Überzeugungskraft, mit religiöser und politischer Geradlinigkeit durchbrach er unzählige Widerstände, vor allem für alle Afroamerikaner. Zwei Tage nach seinem WM-Sieg über Liston konvertierte er zum Islam und legte den "Sklavennamen" Cassius Clay ab. Er verweigerte den Kriegsdienst in Vietnam und nahm dafür in Kauf, dass er 1967 den WM-Titel verlor und für drei Jahre gesperrt wurde. "Er verzichtete auf Ruhm, Millionen von Dollars, um für das einzustehen, was sein Bewusstsein ihm rät", sagte Martin Luther King.

Über allem thronten seine Jahrhundertkämpfe gegen Joe Frazier und George Foreman. Ringschlachten, die bis heute ihresgleichen suchen. Im "Rumble in the Jungle" am 30. Oktober 1974 in Kinshasa ließ er sich vom Favoriten Foreman durchprügeln, ehe er den bis dahin in 40 Fights ungeschlagenen K.o.-König in der achten Runde auf die Bretter schickte. "Muhammad gab mir eine Überdosis von der großen Rechten. Er hat fair und anständig gewonnen, und jetzt bin ich einfach stolz, teil der Legende Ali zu sein", sagte Foreman später.

Legendär sind auch die drei Fights mit Frazier. Nach Niederlage und Sieg im Madison Square Garden kam es am 1. Oktober 1975 zum "Thrilla in Manila". Beide Kämpfer gingen über ihr Limit. Nach der 14. Runde waren Fraziers Augen zugeschwollen. Trainer Eddie Futch warf das Handtuch. Kurz danach brach Ali zusammen - Kreislaufkollaps. Er hatte 440 Treffer kassiert, die meisten am Kopf. Viele sahen in dem selbstmörderischen Akt die Ursache für seine heutige Erkrankung.

Was folgte, waren überflüssige Kämpfe eines gealterten Champions, der Ruhm und Geld nicht missen wollte. 1978 verlor der untrainierte Champ seinen Titel an den Olympiasieger Leon Spinks. Er raffte sich erneut auf und holte sich die Krone zurück. Danach boxte er noch Larry Holmes und im letzten Fight Trevor Berbick. Übergewichtig und chancenlos taumelte er durch den Ring. Mit der fünften Niederlage im 61. Profikampf endete die Karriere des Muhammad Ali - viel zu spät.

Nach dem Ende seiner Box-Laufbahn wollte Ali auf öffentliche Auftritte nicht verzichten. Sein denkwürdigster gelang ihm bei Olympia 1996 in Atlanta, als er als Überraschungsgast mit zittriger Hand das olympische Feuer entzündete. Ein Großmaul ist er noch heute, wie die letzten Sätze seiner neuen Biografie "Muhammad Ali: Ich" verraten: "Ich werde noch herausfinden, wer in Louisville mein Fahrrad gestohlen hat, als ich zwölf war. Und ich werde ihm noch immer den Arsch versohlen."