Boxen Boxen: Ein Fernseh-Star wider Willen
HALLE/MZ. - Mit bloßen Fäusten drischt Steffen Kretschmann auf das rohe Fleisch ein, das aufgereiht an einer Hakenleiste von der Decke baumelt. So will es das Drehbuch. Und so wollen es die Fernseh-Leute, die die Szene für einen Werbefilm aufnehmen. Der Hauptakteur will das eigentlich nicht. Aber er spielt mit.
"Das gehört zum Geschäft", kommentiert Kretschmann beinahe entschuldigend seine Kopie der oft bemühten Trainingsszene aus Silvester Stallones Film "Rocky". Der Boxer aus Halle ist als Hauptkämpfer vom Fernsehsender Sat.1 engagiert worden. Deshalb dreht dieser eine vierteilige Doku unter dem gewollt sensationsheischenden Titel "Knockout - der Kampf seines Lebens". Und eben besagten Werbefilm. Eingefädelt hat den Deal Kretschmanns Promoter Ahmet Öner vom Boxstall Arena.
Auch wenn es im Drehbuch nicht vorgesehen war, spricht Kretschmann in dem Film dann doch Klartext: "Das hier ist natürlich alles nur Spaß. Ansonsten trainieren wir in einer Boxhalle." Wie alle anderen auch. Mit Handschuhen, Sandsack und Kopfschutz. Es ist ein lapidarer, weil völlig selbstverständlicher Zusatz. Doch Kretschmann musste das einfach noch loswerden. "Ich mache mich doch nicht zum Kasper."
Der Drehort war nicht zufällig. In St. Petersburg ist sein nächster Gegner zu Hause. Jener Denis Bachtow, der ihm vor acht Monaten seine bisher einzige Niederlage beigebracht hat. Der Russe, ein unbeschriebenes Blatt in der Boxerszene, wird am 27. März in der Hamburger Sporthalle über das Wohl und Wehe des halleschen Schwergewichtlers entscheiden.
Die Formel ist simpel: Versagt Kretschmann, wird der 29-Jährige in der Bedeutungslosigkeit versinken. Und Sat.1 wirft sofort das Handtuch. "Nur bei einem Erfolg verlängern wir den Vertrag mit Arena", sagt Sven Froberg. Und mit Erfolg meint der Sportchef des privaten TV-Senders nicht nur den im Ring. Neben einem furiosen Auftritt inklusive Sieg von Kretsch- mann werden auch ein hohes Interesse des Werbemarktes, vor allem aber Sendeanteile im zweistelligen Bereich erwartet. Dabei orientiert sich Sat.1 am Jahresschnitt des Senders von elf Prozent.
Dass Kretschmann nicht an die Top-Quoten der früheren Sat.1-Boxstars Wladimir Klitschko, Dariusz Michalczewski oder Thomas Ulrich herankommen kann, ist Froberg klar. Die drei lockten in den goldenen Boxzeiten zwischen 1997 und 2001 bis zu zehn Millionen Zuschauer an den Bildschirm. Dafür ist der titel- und skandallose Kretschmann nicht populär genug.
Ein gewichtiger Grund, es trotzdem mit ihm zu versuchen, ist seine Muskelmasse. Mit seinen 107 Kilo boxt der 1,96-Meter-Mann in der Königsklasse, dem Schwergewicht. Vor allem aber ist er ein Junge von hier. Sat.1 setzt bewusst auf die deutschen Farben. Dass große Namen in der Liste seiner Gegner fehlen und spektakuläre Erfolge bislang ausgeblieben sind, spielt keine Rolle. "Er hat das Potenzial", sagt Froberg. Schon seit Monaten habe man ihn im Ring beobachtet.
Auch die fehlende große Klappe ist offenbar kein Makel. Froberg versichert: "Wir wissen, dass Kretschmann kein extrovertierter Typ ist, der die Medien sucht. Und es gehört sicher auch nicht zu seinen Stärken, aus sich herauszugehen. Aber auch da sehen wir noch Entwicklungsmöglichkeiten." Er hofft, dass auch ein ruhiger Typ bei den Zuschauern ankommt. Und dabei kann ein wenig prominenter Beistand nicht schaden. Deshalb wird Box-Königin Regina Halmich bei dem inszenierten Spektakel als Co-Trainerin geführt. Kretsch- manns Heimcoach Hans-Jürgen Witte spielt nur eine Statistenrolle. Begründung der Fernsehleute: "Zu langweilig!" Glücklicherweise hält sich die als Zugpferd engagierte Ex-Weltmeisterin mit fachlichen Tipps zurück. "Wenn nicht, muss Steffen sich entscheiden. Dann bleibe ich zu Hause", droht Witte.
In Russland hat sich Halmichs Anwesenheit als nützlich erwiesen. "Ich war froh, dass sie dabei war. In Medienangelegenheiten ist Regina sehr versiert. Das hat mir geholfen", gibt Kretschmann zu.
Fachlich bereitet Witte den Boxer auf seinen Schicksalskampf vor. Der Trainer hat Kretschmann schon zu Amateurzeiten zu zwei WM-Medaillen geführt. Die beiden sind ein eingeschworenes Team. Über den Verlauf der Ereignisse scheint der Coach nicht sonderlich glücklich. "Steffen ist nicht der Typ, der gern im Mittelpunkt steht", weiß Witte. Und: "Das Ganze ist natürlich auch eine zusätzliche Belastung."
Aber auch eine große Chance. "Der Rückkampf gegen Bachtow ist wichtig. Er braucht den Sieg für sein Selbstbewusstsein", sagt Witte. Angst, dass sein Schützling dem Druck nicht standhält, hat er nicht.
Auch Kretschmann fühlt sich der Sache gewachsen. Über seine Rolle als Hauptkämpfer noch vor den zu Rahmenprogramm-Boxern degradierten Olympiasieger und Weltmeister Yuriorkes Gamboa sowie Ex-Champion Juan Carlos Gomez aus Kuba will er nicht groß nachdenken. "Ich trainiere gut, bin verletzungsfrei", sagt er.
Im Augenblick quält sich Kretschmann auf dem Laufband eines Fitness-Studios und stemmt dort auch die Eisen. Am Mittwoch geht es wieder nach Hamburg. Dann ist auch wieder die Kamera dabei. Rinderhälften nicht.