Bisexualität Bisexualität: Wenn Sex mit Männern und Frauen Spaß macht

Mainz/dpa. - Als Henning Schäfer (Name geändert) 15 Jahre altist, träumt er von einem Schulkameraden. Es ist ein erotischer Traum,und der Teenager ist verwirrt. Eigentlich steht er doch auf Mädchen.Doch dann habe «die Freude darüber überwogen, einen weiterenHorizont» zu haben als andere. «Trotzdem hat es 20 Jahre gedauert,bis ich mich getraut habe, mit einem Mann Sex zu haben», bekennt derbisexuelle 49-Jährige aus Hamburg heute. Er ist seit zehn Jahren miteiner Frau zusammen, die es toleriert, dass ihr Freund manchmalnoch eine zweite Beziehung mit einem Mann eingeht. Klingtkompliziert? «Beziehungen sind immer kompliziert», sagt Schäfer. Egalob hetero, homo oder bi.
Aber wann bin ich bisexuell? Wenn ich als Frau auf einer Party malmit einer Freundin geknutscht habe, obwohl ich auf Männer stehe? Wennich als Hetero-Kerl beim Duschen im Sportverein mal länger als nötigauf einen nackten Männer-Po geschaut habe? Für die Definition hilftselbst die Lektüre wissenschaftlicher Studien nicht groß weiter.Dieses Gebiet der Sexualforschung sei kaum beackert, eine konkreteBestimmung problematisch, schreibt etwa die US-amerikanischePsychologin Lisa Diamond, die weibliche Bisexualität genaueruntersucht hat. Einige Forscher kommen nach ihren Worten zu demSchluss, dass Bi-Sein verbreiteter sei, als viele annehmen, und sogarhäufiger vorkomme als gleichgeschlechtlicher Sex zwischen Frauen.
Nach einer gängigen Skala in der Sexualwissenschaft gebe essieben Stufen - von absolut homo bis absolut hetero, erklärt JürgenHöhn, Psychologe und Leiter des Zentrums für bisexuelle Lebensweisenin Berlin. Die Bisexuellen liegen irgendwo in der Mitte. Es gebe etwaMänner, die sagten «Ich bin hetero, gehe aber manchmal zumSchwulentreff oder habe was mit meinem Kumpel, wenn wir was getrunkenhaben», erklärt der Psychologe. Bei anderen tauchten zwar in denerotischen Fantasien beide Geschlechter auf - eine Seite wird jedochnie in die Realität umgesetzt.
Bi-sein hat für Henning Schäfer viel mit Lebensphasen zu tun. Undmit der individuellen Definition. «Ich kenne beispielsweise einenMann, der von sich sagt "Ich bin schwul, schlafe aber auch mitFrauen"», erzählt der 49-Jährige. In einigen Fällen entdeckenBisexuelle ihre Neigung erst, wenn sie bereits mitten im Lebenstehen. «Es gibt ja auch Leute, die kommen erst sehr spät zum Rotweinund haben vorher immer nur Bier getrunken.»
Wenn Höhn bisexuelle Paare berät, geht es oft um das Thema Treue.Bei Bisexuellen ist das Monogamie-Gebot - zumindest was das ganzeLeben angeht - schließlich infrage gestellt. «Dennoch gibt esBisexuelle, die seriell monogam leben. Viele Heterosexuelle sind auchnicht besonders treu und sollten nicht den moralischen Zeigefingerheben», sagt der Therapeut. Nach seiner Erfahrung haben die meistenBisexuellen eine feste Partnerschaft und «naschen» nur mal.
Dass sich jemand trotz einer bestehenden Beziehung plötzlich neuverliebt - dies gibt es in der Homo- und Hetero-Welt. «Wenn sichallerdings der Partner nicht nur in jemand anderes, sondern auch inein anderes Geschlecht verliebt», das könne ein zusätzlicher Schocksein, erklärt Höhn. In den Paartherapien des Zentrums geht es häufigum die Beziehungsprobleme Bisexueller. Er rät seinen Klienten zu«care and share». Das bedeute, dass jeder seine Sexualität auslebe,aber dabei offen ist dem Partner gegenüber, ihn unterstützt und dasLeben mit ihm teilt. «Paare haben oft keine Kommunikationsstruktur,völlig unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung», meint Höhn.
Es klingt sonderbar: Auf vergleichsweise große Akzeptanzproblemestoßen Bisexuelle bei manchen Schwulen und Lesben. «Ich habe es voreiniger Zeit schon erlebt, dass eine Schwulengruppe uns bei einerVeranstaltung den Stinkefinger gezeigt hat», erzählt Schäfer. «FürSchwule sind die Bisexuellen oft die Unzuverlässigen», ergänzt Höhn.
Dass Bisexualität die Chance auf ein Date oder Sex verdoppelt - daman ja rein rechnerisch doppelt so viele potenzielle Partner trifft,halten Höhn und Schäfer für einen Trugschluss. «Das sind vielleichtdie Fantasien heterosexueller Männer», sagt Höhn. Nach SchäfersErfahrungen ist es sogar ausgesprochen schwierig, einen Bi-Mann alsPartner zu finden. «Ich gehe nicht zu Schwulentreffs, und Bi-Männernsieht man ihre Neigung nicht so an.»
Gesellschaftlich sei es um das Thema Bisexualität inzwischenvergleichsweise ruhig geworden, sagt Schäfer. «Zur zweiten Hälfte der90er Jahre gab es ja kaum eine Talkshow ohne. Inzwischen hat sichdie Gesellschaft wohl daran gewöhnt.» Vor allem in der Großstadt seies kein Aufreger mehr, wenn sich jemand zu seiner Bisexualitätbekennt. Im Gegenteil: In manchen Kreisen scheine das sogar chiczu sein. «Es gilt als was Freigeistiges, Weltoffenes, eininteressantes Accessoire.» Ob solche «Mode-Bisexuellen» wirklichbi sind, sei dahingestellt.