Besonderes Stehvermögen
Halle/AHA. - „Meine Eltern erzählen allen Freunden undBekannten, dass ich bei der Bravo bin“,lacht Victoria Kirjuschkin. Irgendwie könnensie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden,dass ihre Tochter als angehendeJournalistin Männern süße „pralinen“ verabreicht.Seit fast zwei Jahren volontiert die27-jährige Hallenserin beim gleichnamigenHamburger Sexblättchen des Heinrich BauerVerlags – und das eher aus Zufall.
„Als ich mich auf eine Verlagsanzeige für einVolontariat bewarb, wusste ich noch nicht,in welche Richtung das gehen sollte“, sagtdie studierte Sprachwissenschaftlerin. „DasVorstellungsgespräch war unkompliziert.Der Chefredakteur fragte, ob ich Problemedamit hätte, auch über Erotik zu schreiben.“Victoria hatte keine Probleme damit, bekamdas begehrte Zeitungsvolontariat und fingbei der Wochenzeitschrift als Autorin an.„Aber erst mal ganz sachte. Als Einsteigerschreibt man nur über Non-Sexthemen.“Eben Partnerschaftsthemen mit Ratgeberteil,die ganze Palette hoch und runter.
„Ich begreife meine Arbeit für die praline alsHerausforderung oder gewissermaßen alsbesonderes Stehvermögen: Die dauerndeund spannende Variation eines immergleichenThemas.“ Nachdem sich die einstigeSchülerin des halleschen Tor-Gymnasiumslangsam an den Blattstil heran geschriebenhatte, wurde es Ernst: Echte praline-Themenkamen auf sie zu. „Man macht sich dafalsche Vorstellungen, wie die Arbeit in einemsolchen Sexblatt abläuft. Die Themenwerden völlig normal nach journalistischenKriterien recherchiert.“ Victoria Kirjuschkinmuss es wissen, denn innerhalb des Volontariatsschnuppert sie gerade ein paar Wochenbei der zum Bauer-Verlag gehörendenMagdeburger Volksstimme hinein.
Den Unterschied machen eben die Themen selbst: In den praline-Konferenzen sprichtman über zu große oder zu kleine Brüstedes Covergirls, wird das Pro und Contra einergepfl egten Missionarstellung diskutiertoder darüber gefeilscht, ob nun zu viel oderzu wenig Oralsex im Blatt stattfände. „Mandarf sich aber keine falschen Vorstellungenmachen. Die praline ist P16 und unterliegtdem Jugendschutzgesetz. Schamlippenoder erigierte Penisse dürfen nicht gezeigtwerden, Schamhügel werden auch schonmal retuschiert. F-Worte sind Tabu.“Und überhaupt – die praline ist ein so genanntes50:50-Blatt. Neben Sex und Erotikfi nden eben auch unterhaltende bis politischeThemen statt. „Es ist schon manchmaleine Wohltat, einmal ein Auto für die Leserzu testen.“ Wohl eher die Funktionalitätder Liegesitze? „Billiges Witzchen. Nein,so richtig. Motorisierung, Fahrleistungen,Verarbeitung und Unterhalt“, korrigiert Victoria,die gegen jedes Klischee auch als Autoexpertinbei der praline fungiert.