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Auszeichnung Auszeichnung: Das Tor der Träume

Von Raimund Witkop 16.10.2012, 15:39
Bundesliga-Saison 1971/72, Borussia Mönchengladbach - FC Schalke 04 (7:0), Bökelbergstadion, Mönchengladbach: Mönchengladbachs Günter Netzer (v.l.) Ulrik le Fevre, Rainer Bonhof und Ludwig Müller jubeln nach einem Treffer. (FOTO: DAPD)
Bundesliga-Saison 1971/72, Borussia Mönchengladbach - FC Schalke 04 (7:0), Bökelbergstadion, Mönchengladbach: Mönchengladbachs Günter Netzer (v.l.) Ulrik le Fevre, Rainer Bonhof und Ludwig Müller jubeln nach einem Treffer. (FOTO: DAPD) dapd

Hamburg/dapd. - Wenn Mannschaften im Fußball den Rahmen des Gewohnten verlassen, müssen Vergleiche helfen. Oft denkt man an feines Räderwerk, eine perfekt abgestimmte Maschine, beim FC Barcelona zum Beispiel und in guten Phasen des FC Bayern. Mancher Gegner von Borussia Dortmund hatte in den letzten zwei Jahren das Gefühl, von Panzern überrollt zu werden, oder gegen 15 statt 11 Mann zu spielen.

Aber nur ganz, ganz selten - und dann nur für kurze Zeit - können Teams die Schwerkraft besiegen.

Ulrik le Fevre kann von so einer Mannschaft erzählen. „Wir sind damals über den Platz geschwebt“, sagt der Däne, der im Sommer 1969 zu Borussia Mönchengladbach gekommen und gerade zweimal Meister geworden war. Der Start in die Saison 71/72 war etwas holprig und durchaus erdenschwer, doch innerhalb von vier Tagen im Oktober legte die Borussia zwei Spiele hin, die den legendären Ruf der einstigen „Fohlenelf“ auf der Höhe ihrer Kunst begründete. Und le Fevre, der damals 25 Jahre alte Flügelstürmer aus der kleinen Stadt Vejle, schwebte noch ein Stück über den anderen.

Es begann am 20. Oktober mit dem 7:1 über Inter Mailand im Europapokal der Landesmeister - eines der meist erzählten Spiele der Fußball-Geschichte. Notgedrungen, weil es wegen eines Streits um 60.000 D-Mark Übertragungskosten keine TV-Bilder gibt. Le Fevre traf zweimal, und eine wohl fast leere Büchse traf den großen Spieler und Schauspieler Roberto Boninsegna.

Zwtl.: Weisweilers Weißen war egal, wer im Weg stand

Als die Gladbacher am 23. Oktober den Tabellenführer Schalke 04 am Bökelberg empfingen, wussten sie noch nicht, dass ihr 7:1 von der UEFA annulliert werden würde. Und wieder gab es sieben Stück: erst Facchetti und Burgnich, dann Fichtel und Helmut Kremers. Weisweilers Weißen war damals ziemlich egal, wer sich in den Weg stellte.

Das machte Ulrik le Fevre vor, indem er das perfekte Symbol der schwebenden Borussen schuf. Sein 6:0 gegen Schalke wurde das erste „Tor des Jahres“ der ARD, die Abrundung der im März 1971 eingeführten Abstimmung zum „Tor des Monats“. Das ging so: Der Ball kam vor dem linken Pfosten vor seine Füße. Vor le Fevre stand der erste Verteidiger („kann sein, dass es Sobieray war“), dem er den Ball in einer genau passenden kleinen Parabel über den Kopf hob. Le Fevre hinterher. Vor ihm stand der nächste, aus der Luft folgte der zweite Heber, wieder genau passend über den Schädel. Le Fevre hinterher. Nunmehr etwa am Elfmeterpunkt, schoss er den Ball volley aus der Drehung ins Tor. Eine Mischung aus Improvisation, Frechheit und Kunstfertigkeit: „ Geplant war da gar nichts“, sagt le Fevre, „da hat sich jeder Schritt so ergeben.“ Eben, das war das Tolle daran - wie bei Diego Maradonas Solo gegen England 1986.

Zwtl.: Podolskis zehn stramme Schüsse

Unter den „Toren des Jahres“ blieb le Fevres Jonglier-Nummer mit lebenden Hindernissen einzigartig. „Tor des Jahrhunderts“ wurde, voraussehbar, einer der Klaus-Fischer-Fallrückzieher, die ziemlich regelmäßig in die Auswahl kamen. Über die Jahrzehnte kamen monatlich alle möglichen Fernschüsse und Winkel-Schlenzer dazu, Tore von Rentnern, Frauen und Jugendlichen, allerlei Kuriositäten. Bei den nicht weniger als zehn „Toren des Monats“ von Lukas Podolski war die stramme Schusstechnik immer noch prächtiger als davor, die Bälle zappelten entzückend im Netz. Und doch strahlt le Fevres Tor noch 40 Jahre später auf „Youtube“ seine zauberhafte Leichtigkeit aus.

Trotz der unglaublichen Oktober-Woche blieb die Spielzeit 1971/72 für Gladbach titellos, das Ausscheiden im Wiederholungsspiel gegen Mailand schlug doch stark aufs Gemüt. Vorn in der Liga waren, weit enteilt, die Bayern vor Schalke, die noch nicht wussten, dass die versammelte Prominenz wegen der verschobenen Spiele vom Frühjahr 1971 bald lebenslange Sperren bekommen würde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nach der Saison ging le Fevre, weil es in Brüssel mehr Geld gab, und trauerte den schwebenden Glücksmomenten am Bökelberg eine Weile nach. Später war er Lehrer und - bis heute - Spielerberater, er muss so oft von seinem Tor erzählen, dass es ihm manchmal auf die Nerven geht.

Für ihn kamen Henning Jensen und Allan Simonsen, neue Dänen mit einer Begabung für improvisierte, aus der Situation geborene Glanzstücke. Sie hatten großen Anteil daran, dass man in der 70-ern so oft von Mönchengladbach träumen konnte.