Ausbildung Ausbildung: Schiedsrichter auf der Schulbank
HALLE/MZ. - Sabrina Gräfe hat sich ihr Brasilien-Trikot angezogen. Dabei ist sie nicht einmal ein Fan des Fußball-Rekordweltmeisters. "Es lag einfach auf dem Wäschestapel obenauf und ich habe einfach darauf vertraut, dass es der richtige Glücksbringer ist." Es hat geholfen, das leuchtende Brasilien-Gelb, das auch als Farbe der Sonne, des Lichts, des Willens oder der Heiterkeit beschrieben wird. Sabrina Gräfe, 13 Jahre alt, hat zusammen mit 22 in etwa gleichaltrigen Jungs am Wochenende die Schiedsrichterprüfung bestanden und darf nun Mannschaften aus Halle und dem Saalekreis nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Zunächst auf dem Kleinfeld. Und dann, so sie die Lust auf diese manchmal so undankbare Aufgabe nicht verliert, immer weiter die Tippel-Tappel-Tour aufwärts für alle Spiele, die in der Zuständigkeit des Stadt-Fachverbandes Fußball (SFV) liegen.
"Wir sind stolz darauf, wieder Nachwuchs bei den Schiedsrichtern haben", sagt Jürg Schaper. Vor allem ist der Vorsitzende des SFV-Schiedsrichter-Ausschusses aber erleichtert. "Wir haben in den letzten Wochen wieder einmal gemerkt, wie dünn die Decke bei uns eigentlich ist. Viele Schiedsrichter mussten für die Wochentags-Spiele freie Tage nehmen oder ihren Dienst tauschen. Da sind einige bis an ihre Grenzen gegangen." Und haben zum Lohn dafür auch noch wüste Beschimpfungen von Spielern und Zuschauern ertragen müssen.
Auch Sabrina Gräfe hat sich schon oft über die Schiedsrichter geärgert. Denn sie tritt selbst Wochenende für Wochenende gegen den Ball. Links in der Abwehr bei der TSG Wörmlitz. "Irgendwann habe ich mir gesagt: Was die anderen Schiedsrichter können, das kann ich auch." Und hat sich zur Aufnahmeprüfung angemeldet. Ohne große Vorbereitung, wie sie sagt, auf ihr Wissen vom Fußballplatz vertrauend. Und dann erschrak sie sich fast über die 70 verdammt kniffligen Fragen, auf die im Regeltest eine Antwort gefunden werden musste.
Ein paar Beispiele gefällig? "In der Nachspielzeit entscheidet der Schiedsrichter auf Strafstoß. Jetzt möchte die Mannschaft noch den Torhüter tauschen." Oder: "Ein Spieler erscheint ohne Schienbeinschützer auf dem Spielfeld." Oder: "Ein Spiel findet bei großer Hitze statt. Während einer Spielunterbrechung begeben sich Spieler an die Seitenlinie, um zu trinken." Wie also muss sich ein Referee in solchen Situationen verhalten?
Jeder, der meint, halbwegs etwas vom Fußballregelwerk zu verstehen, kann ja mal Schiedsrichter spielen. "Unser Auswertungssystem ist ganz ähnlich der berühmt-berüchtigten Fahrschule. Eine Fehlerquote von sieben Prozent wird toleriert. Es sind alle darunter geblieben, im Schnitt waren wir sogar unter fünf Prozent", sagte Schaper nach der Auswertung und verkündete 23-mal: "Bestanden."
Doch Theorie ist längst nicht alles. Sabrina Gräfe muss danach noch zum Athletik-Test auf die Aschenbahn. Sechs Sprints über 50 Meter jeweils unter sieben Sekunden sind zu absolvieren. Es ist ein Kinderspiel für die kampferprobte Verteidigerin. Da kommen die älteren Herren, die gleichzeitig zu ihrem so genannten Auffrischungstest da sind, doch schon gehörig mehr ins Schwitzen. Der 66 Jahre alte Hanns-Ulrich Schrader zum Beispiel. Der hält sich tapfer im hinteren Teil der Läufergruppe, bleibt spielend unter der geforderten Zeit und bekommt die Lizenz zum Kartenverteilen anstandslos verlängert. "So lange es noch geht, will ich mit der Schiedsrichterei weitermachen. Auf dem Fußballplatz treffe ich die meisten meiner Freunde", sagt er und verrät sein Fitmacher-Geheimnis: "Sieben, acht Stunden in der Woche Fahrradfahren." Und es gibt ja auch noch einen kleinen Zusatzverdienst. Acht Euro plus Spesen für ein Nachwuchsspiel, zwölf Euro plus Spesen für ein Spiel auf dem Großfeld.
"Schiedsrichter ist man entweder mit Leib und Seele oder überhaupt nicht. Die Sprüche, dass man vor dem Spiel als erstes einen Fluchtweg auskundschaftet, gehören ins Reich der Märchen", sagt SFV-Ober-Schiedsrichter Jürg Schaper. Und er weiß, wovon er redet: "Ich pfeife seit 40 Jahren, bin mit allen gut ausgekommen und habe erst 15 Rote Karten gezogen."